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Stimmen vom Stillen Örtchen

■ Porträts aus Hamburger Toiletten. Teil 1: Irmgard van Lengen (77) Von Hendrik Doose

Wer sich auf dem Klo am Markt in Rothenburgsort nicht anständig benimmt, muß mit Irmgard van Lengen rechnen: „Pissen Sie zu Hause auch daneben?“ Mit scharfer Stimme wird der Übeltäter zur Rede gestellt. Manche Menschen haben offenbar Schwierigkeiten damit, die sanitären Einrichtungen in der vorgesehenen Weise zu benutzen. Unmißverständlich werden sie zum „Saubermachen!“ aufgefordert, denn „Schweine kann ich hier nicht gebrauchen“, sagt Frau van Lengen. „Uns wird einiges zugemutet“, gibt sie kopfschüttelnd zu verstehen: Von Ungeduld oder der Dringlichkeit ihres Bedürfnisses zur Eile getrieben, kommt es vor, daß männliche Kunden ihr bestes Stück schon beim Betreten der Toilette freigelegt haben. Andere erfüllen ihr überdurchschnittlich ausgeprägtes Verlangen, neben ihren Händen auch andere Körperteile einer Reinigung zu unterziehen. Aber gemäß ihrem Motto, „Bist Du Gottes Sohn, so hilf Dir selbst“, läßt sich die energische Dame längst nicht alles gefallen. „Bei mir wird weder gewichst noch gefixt“, erklärt sie und steckt sich die nächste Zigarette an.

Die öffentliche Toilette, in der sie vorher gearbeitet hat, war eine bekannte „Klappe“, das heißt ein schwuler Treffpunkt für unkomplizierte sexuelle Kontakte. Irmgard van Lengen hat es geschafft, dem lästerlichen Treiben dort ein Ende zu setzen. Auf die Frage, wie ihr das gelungen sei, beginnt sie aus voller Kehle zu singen: „Junge, wenn Du willst, spiel auf meiner Geige, spiel auf meinem Klavier, kriegst n' schönen blanken Heiermann dafür.“ Dieses Lied hat sie angestimmt, wenn junge Männer sich zu zweit in eine Kabine zurückgezogen oder „überkreuzt“ an der Pissrinne divertiert haben. Wer sich durch den Gesang nicht gestört fühlte, wurde direkt angesprochen: „Na, meine Hänschen Klein?“ Obwohl sie in Kollegenkreisen unter dem Spitznamen „Revolver-Elli“ bekannt ist, bedarf sie keiner anderen Waffen als ihrer forschen Art, um sich durchzusetzen.

Ausstellung: Büchergilde Gutenberg, Galerie, Besenbinderhof 61, bis 30. Juli, Mo - Fr 9 - 18 Uhr, Sa 9 - 13 Uhr

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