: Eine Idee für 20 Mark
■ Ein neues Unternehmen namens „Gedankengut“ bietet seine Dienste an / Unkreative ordern originelle Geschenkgutscheine, Liebesbeweise oder Rachefeldzüge
Zwei Thesen: 1) Viele Leute haben gute Ideen, aber keiner tut was. 2) Die Leute haben keine Ideen, darum tut niemand was. Stimmt die erste These, ist Niels Schumann ein Schaumschläger. Stimmt die zweite These, ist er vielleicht auch ein Schaumschläger, aber einer mit einer guten Idee: Gedankengut heißt seine Firma. Schumann, Chef und einziger Mitarbeiter von Gedankengut, Entwicklung und Vermittlung von Ideen für den privaten und geschäftlichen Bereich, verkauft Ideen. Eine kleine Idee ab 20 Mark; eine komplexere Idee für einen knappen Fünfziger; und wenn Schumann nachdenkt, dann für 38 Mark die halbe Stunde.
Dienstags von fünf bis sieben und freitags von halb vier bis halb sieben sitzt Schumann (22) in einem eher abgewetzten Bürochen in Hemelingen. Im „Haus auf dem Mühlenberg“ residieren sonst Grüne, Hemelinger Kulturschaffende und die „Solidarische Hilfe“. Wie er so dasitzt, hinter seinem Schreibtisch, mit seinem stattlichen Körper, seinem Zauselhaar und dem Zottelbart, hat er so gar nichts Schräges. Dafür aber einen Vertrauensvorschuß. Man spürt: Der Mann wird sich Mühe geben. Testen wir ihn!
Der Auftrag: Heute abend gehe ich auf die Geburtstagsparty eines guten Freundes, der just von einem mehrjährigen Afrika-Aufenthalt zurückgekehrt ist. Er wird 40, ist auf geradezu erschreckende Weise bescheiden und möchte nichts haben, weil er noch keine Wohnung hat. Was soll ich schenken? Im Ernstfall müßte ich jetzt einen Vertrag unterschreiben, mit „IdNr.“, „Ideenwunsch“, vereinbartem Preis und dem Passus: Falls die Idee auf Anhieb nicht gefällt und auch nach einem nochmaligen Angebot keine Zufriedenheit erreicht werden kann, ist die Idee kostenlos, darf aber nicht benutzt werden. Es muß eine Begründung für das Mißfallen bestehen.
Schumann, das muß man zugeben, arbeitet schnell. Zurücklehnen, Kreativität anwerfen, da ist die Idee: „Binde dir eine Schleife um und geh hin!“ Danke, gefällt nicht. Zweiter Versuch. „Binde die Schleife um eine große Pappe. Und wenn du vor dem Freund stehst, läßt du die Pappe fallen.“ Tja. Vielleicht war die Produktionszeit der Idee doch zu kurz. Eine Stunde sollte man dem Kreativen lassen. Ausnahmsweise ein dritter Versuch? „Es wird sowieso zu voll sein auf der Party. Schenk einen Gutschein über einen weiteren Besuch. Entwerf ich dir. Inklusive Verpackung!“ Na also!
Wie kommt man auf sowas wie Gedankengut? Es war die Umwelt. Der Absolvent der Fachoberschule für Gestaltung und Erzieher in Ausbildung hatte mal die Idee, Kinokarten müßten nicht immer im Umschlag verschenkt werden. Er baute aus Pappe ein kleines Kino. Hinter dem kleinen Vorhang: die Kinokarte! Das kam an. Mal hat er von einem plattgefahrenen Frosch einen Gipsabdruck gemacht und diesen mit Latex ausgegossen. Das ergab sehr beliebte Schlüsselanhänger „Da habe ich gemerkt: Die Leute brauchen Ideen. Das wäre eigentlich eine Idee: Kreativität zu Geld machen!“ Zuerst hat er sich ein paar Witze ausgedacht und an die Harald-Schmidt-Show geschickt. Keine Antwort. Dann faßte er die Sache professionell an: Er ging zum Gewerbeamt.
Die Beamtin war amüsiert, aber zugetan. 25 Mark kostete der Gewerbeschein, Handelskammer und Finanzamt würden sich schon noch melden. Handy, Büro, Bürozeiten, Briefkopf, Vertragsvordrucke – viel zu tun für den kreativen Kopf. Und was gab es nicht alles durchzuspielen. Die Gefahr, betrogen zu werden! Ideenklau! Ideen zurückweisen und heimlich doch benutzen! Was berechnet man Großkunden? (Einem Energieunternehmen will Schumann demnächst einen PR-Gag andienen, nur so zum Beispiel. Auch fürs Ostertor hat er eine Idee, Freimarktumzug im Winter mit Weihnachtsmännern und allem Pipapo, leider hat er noch keine Idee, wer ihm die Idee bezahlen muß.) Seit einem Monat gibt es Gedankengut – und noch immer weiß Schumann nicht genau, wie er reagiert, wenn einer anruft und irrsinnig schnell, am Telefon, mit einer Idee versorgt werden möchte. Wie sichert man sich ab, ohne Unterschrift?
Die reine Ideenproduktion ist viel einfacher. Hinsetzen und Nase reiben, ja doch. Da gehen schnell Stunden ins Land. Gut, wenn der Kunde einen Festpreis hat. Für eine originelle Schaufensterdeko zum Bespiel. Oder es arbeitet der kreative Kopf abends im Bett. Gut ist, wenn zwischen Auftragsunterzeichnung und Ablieferung der Idee eine Nacht liegt. Doch soviel Zeit ist nicht immer. Schumann hat Ideen für Liebesbeweise auf Lager. Oder Rache-Ideen, auch die.
Unternehmerisch gesehen ist Schumanns Geschäft noch nicht so erfolgreich. Bis heute hat er noch keine seiner ungezählten Ideen verkauft. Sie, liebender Leser, oder Sie, rachelüsterne Leserin, könnten die ersten sein! BuS
(Kontakt zu Niels Schumann, dem Mann mit den bezahlbaren Ideen: % 0421/4173616 oder 0177/8551178).
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