: „Wir wollen die Wahrheit wissen“
■ Flüchtlingsfrauen aus dem bosnischen Srebrenica erinnerten auf dem Wittenbergplatz an die Massengräber in ihrer Heimatstadt
Sie haben 420 Namen auf eine Stoffbahn geschrieben – die Namen ihrer Väter, Brüder, Söhne und Ehemänner. In den Händen halten sie Rosen, denn sie hoffen noch. Rund 30 Flüchtlingsfrauen aus der ostbosnischen Stadt Srebrenica haben sich am Samstag auf dem Wittenbergplatz versammelt, um an das Schicksal von 8.000 Männern und 2.000 Frauen sowie Kindern ihrer Heimatstadt zu erinnern.
Denn dieses Schicksal ist in den wenigsten Fällen genau geklärt. Etwa 5.200 Leichen sind seit 1995 exhumiert worden, aber nur 45 von ihnen konnten auch identifiziert werden. Alle anderen Leichen liegen noch in versiegelten Müllcontainern in Visoko bei Sarajevo und in einem Betontunnel bei Tuzla, prangert der Präsident der Gesellschaft für bedrohte Völker, Tilman Zülch, bei der Kundgebung an.
Die Frauen weinen nicht. „Wir möchten wissen, was in diesen Gräbern ist, wir wollen die Wahrheit wissen“, sagen sie Die Gesellschaft für bedrohte Völker will ihnen dabei helfen. Deshalb fordert Zülch, daß die Massengräber in Bosnien geöffnet und die Leichen identifiziert werden, „damit die Menschen sie in Würde begraben können“, sagt er. Das ist vier Jahre nach Ende des Krieges in Bosnien nicht mehr einfach. Für eine Identifikation bleibe nur die teure genetische Analyse, sagt Zülch. Doch noch fehlen die Geldgeber.
Schweigend hören die Frauen zu, beherrschen sich. „Das ist typisch“, kommentiert die 20jährige Sabina, die nur aus Solidarität zu ihren Landsleuten hierher gekommen ist. „Wir Bosnier verzeihen leicht und gelten als friedfertig.“ Die Passivität ihrer bosnischen Bekannten bringt sie immer wieder in Rage. „Deshalb“, meint sie,„sind wir auch immer noch in Deutschland und noch nicht nach Hause zurückgekehrt. Niemand macht Druck.“
Druck versucht nur der Menschenrechtler Zülch zu machen. Während sich das Interesse der Weltöffentlichkeit auf das Kosovo richtet, fordert er die Umsetzung des Vertrages von Dayton: Die Verurteilung der Kriegsverbrecher, von denen erst zwei vor dem Den Haager Tribunal standen, und die Rückkehr von 1,5 Millionen Flüchtlingen. Da löst sich eine große, grobe Frau mit faltigem Gesicht aus der Reihe der Demonstrantinnen. Müde setzt sie sich auf eine der Bänke, legt ihre Rose ab und weint endlich doch. Grit Kienzlen, dpa
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen