: Chance zum Neubeginn vertan
■ Darf man Abschiebehäftlinge künftig unter schlechteren Bedingungen als Straftäter einsperren? Kriminalpolitischer Arbeitskreis meint: „Nein!“
Auf welcher Grundlage darf man Abschiebehäftlinge, die ja keine Straftäter sind, unter schlechteren Haftbedingungen einsperren als Straftäter? Diese Frage drängt sich auf, nachdem der neue Trakt für Abschiebehaft beim neuen Polizeipräsidium in der Vahr in mehrerer Hinsicht nicht den Mindeststandards für Justizvollzug entspricht. Kritisiert wurden besonders die vollklimatisierten, bis unter die Decke gekachelten Zellen, die statt Fenstern nur Glasbausteine haben. Die Grünen wollen Nachbesserungen in der Innendeputation beantragen. Der Sprecher der Bremer Innenbehörde wies die Vorwürfe, daß die geplante Abschiebehaft die Menschenwürde verletze, unterdessen zurück: Die Anlage entspreche nordrhein-westfälischen Richtlinien für den Bau von Polizeigewahrsamen ( taz berichtete). Dazu fragten wir Wolfgang Lesting, Richter und zugleich Mitglied des Bremer kriminalpolitischen Arbeitskreises (Kripak).
taz: Die Innenbehörde erklärt, es sei keine Haftanstalt sondern ein Polizeigewahrsam (PGW) gebaut worden. Damit würden Richtlinien für den Justizvollzug, wonach Zellen Fenster haben müssen durch die man hinausschauen kann und durch die Luft hineinkommt, nicht gelten. Ist das in Ordnung?
Bernhard Lesting, Kripak: Polizeigewahrsam heißt Vollziehung des Gewahrsams nach Polizeigesetzen. Abschiebehaft dauert aber meist lange, der Aufenthalt im PGW dagegen berechnet sich nach Stunden.
Rechtmäßigkeit ist auch nicht damit gegeben, daß die Polizei sich an Vorgaben aus Nordrhein-Westfalen orientiert – und selbst wenn sie sich an diese Kriterien halten würde, muß sich eine solche Richtlinie anhand höherrangiger Rechtsvorschriften dahingehend überprüfen lassen, ob sie der Menschenwürde entspricht. Natürlich werden Häftlinge gegen Haftbedingungen Beschwerde einlegen können. Das Landgericht würde dann entscheiden müssen, wie es das bereits vor Jahren tat. Damals hatte ein Abschiebehäftling nach acht Monaten in der Ostertorwache (bis Januar 1996 als Abschiebehaft genutzt, Anm. d. Red.) gegen seine Haftbedingungen geklagt.
Heißt das, die Unterbringung von Abschiebehäftlingen sollte der in Justizvollzugsanstalten entsprechen?
Ja. Auf der Suche nach Kriterien für Menschenwürde hat das Landgericht Bremen sich damals an Paragraph 144 des Strafvollzugsgesetzes orientiert. Aus der damaligen Rechtsprechung ging beispielsweise hervor: Drei Mann auf elf Quadratmeter – das verstößt gegen die Menschenwürde.
Die neuen Einzelzellen sind größer als neun Quadratmeter. Die Menschenwürde dürfte da nicht in Frage stehen.
Das Kriterium ist diesbezüglich sicher gewahrt. Es ist endlich auch gelungen, die Abschiebehäftlinge von Personen, die sich im Polizeigewahrsam befinden, zu trennen. Die Chance zum Neubeginn ist aber sicher hinsichtlich der Gesichtspunkte Belüftung, Kachelung und Schamwände vertan worden. Gekachelte Wände für eine Zelle – das erinnert an Schlachthof.
Wie ist es möglich, daß es in einem Land wie Deutschland, wo jedes Blatt Papier normiert ist, keine Mindeststandards für Abschiebehaft gibt?
Man steht tatsächlich überall vor dem Problem, daß man in Landesbauordnungen und zahlreichen Gesetzen nach Kriterien suchen muß, die sich vielleicht übertragen lassen. Nur in Berlin gibt es ein Gesetz für den Vollzug von Abschiebehaft – aber auch da ist nicht alles geregelt. Ob wir mit einer Norm Verbesserungen hätten, steht allerdings auf einem anderen Blatt.
Ist es nicht müßig, auf Klagen Inhaftierter zu setzen? Erstens stehen die meisten kurz vor der Abschiebung. Und zweitens hat der Verein für Rechtshilfe im Justizvollzug erst kürzlich kritisiert, daß die Beschwerdemöglichkeiten im PGW ohnehin kläglich seien – schon wegen mangelnder Rechtsberatung.
Wenn ich mir ausrechne, daß ich monatelang unter schlechten Bedingungen sitzen werde, ist Klage eine Möglichkeit.
Wie werten Sie, daß es überhaupt zu dem Bau einer solchen Haftanlage kommen konnte?
Bremen hat die Chance vertan, ganz klar ordnungsgemäße und rechtmäßige und in keinerlei Weise für die Menschenwürde problematische Haftbedingungen zu schaffen. Ich gehe davon aus, daß wir in Zukunft, so schlimm es ist, Abschiebehaftplätze brauchen werden. Die Vorstellung der Polizei, wir bauen da was ganz anderes – ein PGW –, und solange wir noch Abschiebehäftlinge haben, bringen wir die da unter, scheint mir problematisch. Auch riskiert man so eine Entscheidung des Landgerichts – und möglicherweise teure Umbaumaßnahmen.
Könnte die Behörde nicht auch argumentieren, daß die Häftlinge bei großzügigem Aufschluß und Aufenthalt im Aufenthaltsraum durch schlechte Zellen kaum beeinträchtigt würden?
Man muß konkret abwägen: Wie lange werden die Häftlinge inhaftiert, werden die Zellen wirklich nur mit Einzelpersonen belegt oder werden doch mal zwei reingepackt, wie sind die konkreten Haftbedingungen, was Umschluß und anderes angeht. Fragen: Eva Rhode
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