: Die Sahneseite verheimlicht
■ 18jähriger Kurde muß zurück in die Türkei. Dort erwarten ihn neben türkischem Militärdienst zwei aufgebrachte Familien: Die eigene und die seiner Ex-Frau
Nach Lilienthal kam Garbi Y. als zehnjähriger Junge. Heute, mit 18, weiß der junge Kurde: Mit falschem Paß. Das Asylgesuch, das der Onkel für ihn betrieb, ist schon lange beendet. Abgelehnt. „Der Junge interessiert sich auch kein bißchen für Politik“, sagt Süleyman Boybeyi. „Aber wenn er politisch wäre, würde er jetzt vielleicht Hilfe bekommen. Oder er wüßte sich zu helfen. So muß er weg. Dabei gehört er nicht in die Türkei. Da geht er unter.“
Der kurdische Sozialarbeiter kennt Garbi seit drei Jahren – und ebenso lange warnt er ihn: „Junge, zeig' deine sahnige Seite. Sonst schicken sich dich in die Türkei.“ Aber der Junge, im Clan des kurdischen Onkels untergebracht, „der mit den teetrinkenden Männern und den unterdrückten Frauen unappetitlichen Klischees entspricht“, wie Boybeyi beobachtete, hatte andere Probleme. Stand ständig unter Strom, klaute, drohte, prügelte Mitschüler.
Daß die Warnung des Sozialarbeiters so schnell wahr würde, hat Garbi überrascht. Vor sechs Wochen, am 18. Geburtstag, kam die Mitteilung; gestern hätte er abgeschoben werden sollen. Schon länger schläft er deshalb nicht mehr in seiner Wohnung. „Sonst hätten sie mich doch schon geholt.“ Drangekriegt haben sie Garbi schon häufiger. Diebstahl, räuberische Erpressung, Körperverletzung. Sechs Monate Haft brummte der Jugendrichter ihm zuletzt auf – zwei Jahre zur Bewährung. „Das Urteil kam, als die Geschichte schon zwei Jahre her war“, grummelt Garbi entschuldigend. Mit „zwei Kumpels“ hatte er nachts jemanden auf der Straße überfallen und ihm das Geld weggenommen. „Gut, daß da nicht viel zu holen war“, räsonniert er heute. „Sonst hätte ich vielleicht weiter gemacht.“ Wie die Freunde. „Die haben sie später erwischt – da bin ich dann auch dran gewesen“, sagt Garbi. „Ich mache sowas nicht mehr.“ Bis zum Imbisskoch hat Garbi es mittlerweile gebracht. „Da kann ich mir von meinem Geld kaufen, was ich brauche.“ Der Job ist jetzt natürlich futsch.
Einen Schulabschluß hat Garbi nie gemacht. Den Führerschein auch nicht. Trotzdem hat ihn die Polizei eines nachts auf der Autobahn erwischt – im Auto des Onkels, dem der Junge die Schlüssel geklaut hatte. Da war Garbi 13 – und dem Onkel klar, daß er mit dem Jungen nicht fertig würde. Onkels Lösung: Eine Frau. Garbi erfuhr davon erst, als der Onkel eines Tages auf dem Fußballplatz auftauchte. Zu Hause wartete die Braut. „Sie kam direkt aus Kurdistan. Eine Austauschehe, Garbis Schwester wurde mit dem Bruder seiner neuen Frau verheiratet“, weiß der Sozialarbeiter.
Garbi war gerade 14 geworden; die Ehe wurde vollzogen – aber sie wurde nie amtlich, geschweige denn gefeiert. Gegenüber deutschen Freunden wurde sie sogar verheimlicht – samt der beiden Kinder, die daraus hervorgingen. Sie und die Mutter leben mittlerweile in Obhut des Jugendamtes. Die Kinderehe ist gescheitert. „Es herrschte Verwahrlosung im Haus.“ Boybeyi hatte die Behörden eingeschaltet, nachdem alle Appelle an kurdisches Ehrgefühl ungehört blieben. „Ich hatte mich lange gefragt, ob diese Familie ein Dienstmädchen hat. Immer trug das Mädchen riesige Waschkörbe“, sagt der Sozialarbeiter. „Auch während der Krankheit in der Schwangerschaft.“
„Ich sollte ein Mann werden“, blickt Garbi zurück. Boybeyi erinnert sich noch an sein Staunen über diesen Ehemann: „Kein Schnurrbart, nicht arbeitsfähig. Unglaublich“, schüttelt er den Kopf. „Man muß die Leute, die das alles angerichtet haben, bestrafen. Nicht den Jungen. Kein Wunder, daß er auffällig wurde.“
Die Familie sieht das anders. Der Junge, der als Mann versagte, hat ihre Ehre befleckt und ihnen Schande gebracht. Die junge Frau auch. „Als Hure wurde sie beschimpft“, sagt Boybeyi. „Niemand will verantwortlich sein, deshalb werden die jungen Leute beschuldigt.“ Garbi werde nichts zu lachen haben, wenn er den Familien – der eigenen und der seiner Ex-Frau – nach der Abschiebung in die Hände gerate. Garbi fürchtet den Militärdienst mehr. „Dann muß ich auf Kurden schießen.“
Süleyman Boybeyi wird das Gefühl nicht los, seinen Klienten zu spät kennengelernt zu haben. „Garbi ist noch ein halbes Kind.“ Zugegeben, eines, das andere in Angst versetzen kann. „Aber er konnte in dieser Familie die Regeln der Gesellschaft nicht lernen“, sagt Boybeyi. Seit über einem Jahr sei Garbi nicht mehr aufgefallen. „Wenn man ihn jetzt wegschickt, dann wird er sich bestätigt sehen in seiner Aggression gegen diese Gesellschaft“, sagt der Sozialarbeiter. „Du Idiot“, rüffelt er seinen Klienten liebevoll aber ehrlich.
Gestern wurde die Abschiebung überraschend ausgesetzt. Der Staatsanwalt hatte beim Landkreis Osterholz-Scharmbek interveniert, weil noch mindestens ein Gerichtsverfahren gegen den jungen Mann und einen weiteren Mittäter anhängig ist. ede
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