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Konflikte mit der Lupe suchen

■ Regierungserklärung: Opposition nicht mehr notwendig

Wie macht man das: Einerseits die Einigkeit der Großen Koalition beschwören, andererseits sich in der großen Umarmerei noch ein eigenes Parteiprofil zu bewahren? Die Regierungserklärung des Landesvaters in der Bürgerschaft gab gestern erste Gelegenheit nach der Wahl, sich in der neuen alten Rolle zu üben. Erste Gelegenheit auch für die beiden neuen Fraktionschefs von SPD und CDU, Jens Böhrnsen und Jens Eckhoff, Pflöcke für ihre zukünftige Arbeit einzuschlagen.

Allein: Von Koalitionsseite gab es nicht viel zu kritisieren an der Regierungserklärung von Henning Scherf und an der Entgegnung des CDU-Bürgermeisters Hartmut Perschau. Zu eng hielten sich beide an die Aussagen des Koalitionsvertrages, als daß die Ausführungen Aufschluß über mögliche neue Politik-Vorstellungen der Bündnispartner hätten geben können. Nur bei der Frage der Finanzierung von Großprojekten und wie man sich bei Streitfällen im Bundesrat verhalten werde, wurden unterschiedliche Sichtweisen deutlich.

Einen „enormen Neuordnungsbedarf bei der Verteilung von Aufgaben und Finanzen zwischen Bund und Ländern“ entdeckte Scherf und kündigte an, daß bei Großinvestitionen in Zukunft verstärkt umgestiegen werden müsse „von der kameralen auf die Kapitaldienstfinanzierung“. Im Klartext: Mehr Schattenhaushalte. Perschau allerdings erwiederte, dieses Vorgehen sei noch keineswegs so ausgemachte Sache, wie gerade von Scherf dargestellt.

Auch bei der Beschwörung des gemeinsamen Eintretens für das Bundesland Bremen mochte Perschau nicht so ganz folgen: Zwar werde man sich im Bundesrat als Land bemühen, den Sparanstrengungen des Bundes entgegenzukommen. Allerdings „warne“ Perschau davor, den Koalitionsvertrag als „Unterwerfungsvertrag“ unter die Politik der rot-grünen Bundesregierung zu verstehen.

Als „Zweckbündnis“ bezeichnete der CDU-Fraktionsvorsitzende Jens Eckhoff die Koalition mit den Sozialdemokraten. Offensiv vertrat er die These, daß das Konzept des „Sparens und Investierens“ aufgegangen sei – dank der CDU-Politik. Genauer hinschauen werde man in Zukunft bei Projekten wie Space- und Ocean-Park, damit die „öffentliche Hand nicht einseitig das finanzielle Risiko“ trage. Von der Call-Center-City zappte sich Eckhoff über Multimediastandortbeschwörungen, neue Autobahnen und mehr Flächen für Häuslebauer bis hin zur Bundespolitik: Scherf solle sich von den Sparplänen der rot-grünen Bundesregierung „endlich“ distanzieren, forderte der 33jährige. Der „Sozialhilfemißbrauch“, so fuhr Eckhoff fort, solle „konsequent bekämpft“, das Hollerland bebaut, an den Schulen die Prinzipien „Fördern und Fordern“ gestärkt werden.

In einigen Punkten distanzierte sich Eckhoffs SPD-Kollege Jens Böhrnsen von dem Koalitionspartner: Die Bebauung des Hollerlands mit Straßen und Gewerbesiedlungen etwa sei mit der SPD nicht zu machen. Auch mit den Eckhoff-Ausführungen zum „Sozialhilfemißbrauch“ wollte Böhrnsen nicht leben: Die Debatte dürfe nicht mißbraucht werden, „indem eine große Zahl von Menschen unter Generalverdacht gestellt“ werde. Beim Thema Kriminalität setzt Böhrnsen mehr auf Prävention denn auf Strafe, die Ausländerpolitik solle von „humanitären Gesichtspunkten bestimmt sein“. Für umstrittene Abschiebungen forderte er eine „Härtefallkommission“. Der freien Kultur- und Projektszene versprach Böhrnsen, sie nicht zu vernachlässigen.

Von der grünen Opposition kam das Versprechen, die Außenseiterrolle „selbstbewußt, kritisch und offensiv“ anzunehmen. Für Helmut Zachau war entscheidend, welche Themen nicht in der Regierungserklärung behandelt wurden: Das klare Bekenntnis zur Frauenförderung wurde ebenso vermißt wie zur Integration von Ausländern. Auch die Beteiligung der Bürger an politischen Prozessen werde von den Koalitionären mit einer „gewissen Ignoranz“ behandelt. Zachau kündigte an, daß die Grünen ihre Schwerpunkte in den Bereichen ökologische Stadtentwicklung, Arbeitsmarktpolitik, Bildung und Bürgerbeteiligung setzten werden.

Auch für den DVU-Abgeordneten Siegfried Tittmann war gestern Premiere: In einem Redebeitrag, der vom Umfang her rund ein Hundertstel der gesamten Redezeit ausgefüllt haben dürfte, wetterte er gegen die Selbstbedienermentalität der Politiker und warf den Abgeordneten vor, in einer anderen Welt als ein normaler Arbeiter zu leben. Mehrere Abgeordnete der SPD verließen zu Beginn seines Beitrags den Saal.

cd

Siehe auch Seite 6

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