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Scheißgurte ■ Von Fanny Müller
Das gemeinsame samstägliche Wohnungenangucken wird mir fehlen. Ganz besonders das Herumfachsimpeln mit den Maklern. Die Nichte: „Wieso ist denn kein Stauraum vorhanden, zum Beispiel hier im Flur hinter der Eingangstür?“ – „Tja, das Haus wurde in den Siebzigern als Puff gebaut, da war das nicht so notwendig ...“
Die Nichte zieht um. Bei jungen Leuten ist das einfach, weil ihre Bekannten sich noch nicht mit chronischen Lendenwirbelsyndromen herausreden können. Die Sachen müssen vom 5. Stock herunter und dann vier Häuser weiter ins Parterre geschafft werden. Das ist soweit in Ordnung, aber beim Klavier streiken die guten Freunde und machen jetzt doch drohende Bandscheibenvorfälle geltend. Glücklicherweise kennt einer einen, dessen Schwager eine Firma ... Man ruft den Schwager an, und alles wird gut. Er wird kommen, und für einen Kasten Bier und 20 Mark pro Nase werden seine Männer die Sache in Angriff nehmen. Inzwischen unterhalte ich die anderen mit meinen einschlägigen Erfahrungen aus der Branche. Ich war nämlich schon mal aushilfsweise in einer alternativen Umzugsfirma beschäftigt – Sie wissen schon, die mit angeschlossener Schreinerei, Holzkinderspielzeugwerkstatt und Vollversammlungen – wo die Schreiner und Holzkinderspielzeughersteller täglich ein Mittagessen für die Gemeinschaft vorbereiteten, das meiner Erinnerung nach meistens aus Grünkernsuppe bestand. Die Möbelpacker zogen es aber vor, von ihren Auftraggebern zu Zigeuner- bzw. Jägermeisterschnitzeln mit Pommes aus der Tiefkühltruhe und Soße aus der Tüte eingeladen zu werden. Das kann man verstehen. Dem Laden war selbstverständlich auch eine Töpferei angeschlossen, von deren weitgehend unverkäuflichen Produkten ich heute noch welche aufbewahre, falls künftige Generationen an meinen Berichten zweifeln sollten.
Gegen 18 Uhr laufen die Packer ein. Es handelt sich um den Inhaber der Firma, einen ehemaligen Pädagogikstudenten, den eine Karriere im Schuldienst letztlich doch abgestoßen hat, und um zwei seiner Angestellten: flächendekkend tätowierte Riesensäuglinge. Der Chef ist deshalb mitgekommen, weil es gilt, neue Gurte auszuprobieren, die erst heute geliefert worden sind. Außerdem macht er den Eindruck eines liebenswürdigen Dompteurs, der seinen Raubtieren zwar großzügig Fleischhappen zuwirft, aber auch die Peitsche zu handhaben weiß. Die beiden Schnuckel packen an und grummeln Unverständliches vor sich hin. „Nein, Andreas“, hören wir die seidenweiche Stimme des Herrn und Meisters vom Nebenzimmer her, „das sind keine Scheißgurte. Das sind sehr gute Gurte!“ Rumsrumsrums. Der Chef: „Jetzt wollen wir uns daran erinnern, daß wir hier einen empfindlichen Holzfußboden haben.“
Ich meinerseits erinnere mich, daß das Umzugspersonal a) eigentlich jeden Kunden haßt b) aber insbesondere die Leute mit den bis zum Rand vollgepackten Bücherkisten und c) die ganze Veranstaltung für ziemlich überflüssig hält, da alle Leute sowieso die gleiche Einrichtung haben. Genau! Warum tauscht man nicht einfach nur die Leute aus? Die marschieren auf ihren eigenen Füßen in die neue Wohnung, und damit hat sich das Theater.
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