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SchlaglochRudolf Scharping oder: die Unfähigkeit, Siege zu feiern

■ Von Friedrich Küppersbusch

„Jeder, der geht, läßt mich ein Stück alleiner.“ Gerhard Schröder zu Gerüchten über Rudolf Scharpings Wechsel zur Nato nach Brüssel

Dabei wäre Deutschlands meister Kreditverspieler nicht mal schlecht beraten, seine Kanzlerschaft behende umzudeuten: Ist das noch eine Regierung oder schon die längste Herrenmodewoche der Welt? Oskar Lafontaine: Ach, wie gut, daß niemand weiß, daß Rumpelheinz ins Stilchen beißt. Bodo Hombach: Mobbing Dick.

Und nun das Rudiment vulgo Scharping jedenfalls: Die Regierung Kohl hatte ihre beste Zeit, als es sie innerlich zwischen Dregger und Geißler, Süssmuth und Czaja beinahe zerriß. Diese beste Zeit dauerte die Hälfte der 80er, und auch darin ist die Regierung Schröder bisher schneller.

Rudimentär: Ein bärtiger, drahtiger, ungelenk wirkender Mensch, den der Wahlerfolg so kalt erwischte, daß er für seinen eigenen Jubel zwei Nummern zu klein wirkte. Aha, in Rheinland-Pfalz hat die Union Bernhard Vogel abgesägt, ein bizarres Tandem statt dessen präsentiert und damit alles getan, den von Helmut Kohl ererbten Heimvorteil zu erden. Daß es dann Rudolf Scharping war, zum Siegen verurteilt, schien von eher beiläufiger Bedeutung. Jedes Winzerfest habe er besucht, Handwerk und Mittelstand als SPD-Klientel behutsam gekeilt und wenig Zweifel daran gelassen, daß, wenn, dann mit der FDP koaliert werde.

Die Bilder einer rauschenden Wahlnacht in Mainz Anfang der 90er präsentierten einen frischgebackenen Ministerpräsidenten, der zeitlupesk die Hände zu Fäusten ballt und über den Kopf hebt: Sollte Jubel sein, gerinnt mir aber rückblickend zu einer Art Abwehrgeste.

„Der Erdkundelehrer!“ raunte es durch die Redaktion angesichts des sachlich-disziplinierten Vollbartes, um den herum das geistige Auge eher einen Volvo Kombi wachsen sieht als etwa ein Kanzleramt. Scharping war als MP Talk-kandidabel geworden. Und noch machte man sich die Mühe nicht, einen jener Namen zu lernen, die die damalige Sozialdemokratie schnell verschliß.

Damals führte sein Munzinger-Politikerbiographie-Blatt noch eine Schnurre an, die in späteren Ausgaben fehlt. Vielleicht nur, um die Seite vollzubekommen, erzählte es dort vom jungen wilden Rudolf, der bei einem Bundeswehr-Platzkonzert Flugblätter gegen den Starfighter verteilte. Und damit, eigentlich zeitgemäßer Juso-Schick, gegen Verteidigungsminister Schmidt: Parteiausschlußverfahren!

Als er Parteivorsitzender wurde, fiel die Anekdote aus dem Lebenslauf heraus; als er Verteidigungsminister wurde, war sie schon vergessen; als er Krieg führte, reichte die Bild-Zeitung ein anderes prägendes Jugenderlebnis nach: Von einer entfernten Verwandten, die – weil Jüdin – vor den Nazis flüchten mußte.

Diese biographische Beweglichkeit muß zu Konspirationstheorien nicht verleiten. Scharping ähnelt eher Woody Allens Verwandlungskünstler Zelig als Orwell, und wenn überhaupt, dann hätte er ein Recht, beleidigt zu sein: Dem Gewissensirrtum Kosovo-Krieg kann man auch ohne biographische Begründung erliegen; sich auch mit falschen, schädlichen Mitteln auf der Seite der Menschenrechte zu wähnen, ist kein Privileg verfolgter Minderheiten.

Interessanter scheint mir an seiner Biographie die bisher unbestrittene Tatsache, daß Rudolf Scharping ein „ältester“ ist. Ringsum eine Welt von Waisenknaben – Momper, Lafontaine, Schröder und überhaupt: Je patriarchischer der Mann, desto eher findet sich der biographische Hinweis, daß diese Superväter eben keine Väter hatten. Kriegerwaisen. Während übrigens die amtierenden Mütter der Nation – Witta Pohl, Inge Meysel, Marie-Luise Marjan – ihren Lebensläufen zufolge in Internaten, als Adoptivkinder, jedenfalls mit ohne Mutter groß wurden. Was zum einen die sturzreaktionäre Frage erneuert, ob Kinder gegebenenfalls so was abgefahrenes wie „Eltern“, und zwar zwei, und zwar möglicherweise unterschiedlichen Geschlechts brauchen. Und andererseits die Frage, wann über diesen Aspekt der Lebenslaufbetrachtung jemand ein ordentliches Buch schreibt, damit ich mich hier ohne weitere Versäumnisse wieder einem Mann zuwenden kann, der auch nicht, Obacht!, von schlechten Eltern ist.

Rudolf Scharping stellte, wenn er sich dazu äußerte – und das mußte er als Mitglied der „Was macht das mit Ihnen?“-Liga der Talkshowgäste –, in den Vordergrund, daß man als ältestes von sieben Kindern reichlich Verantwortung zu tragen habe und sich selbst hintan zu stellen. Erst recht, wenn es dem Vater durch Pech und falsche Freunde wirtschaftlich dreckig geht.

„Vergeßt mir den Mainzer nicht!“ soll Vaterfigur Willy Brandt gemahnt haben. „Ein guter Mann!“ lobte vernehmlich Kanzler Kohl den Unterhändler Scharping, als die „Petersberger Beschlüsse“ zur Abschaffung des Asylrechts und Umdeutung der Bundeswehr die SPD auf das vorbereiteten, was heute eine linke Regierung hätte sein können.

Einem geborenen Egomanen wie Schröder mag es leichter fallen, daraus Kapital zu schlagen; für einen guten Kerl wie Scharping ist solches Lob nicht der Anfang einer Karriereoffensive, sondern eher das Ende eines guten Jobs. Klaglos erträgt er Scherze darüber, wie drollig er mit Fahrradhelm aussieht – und wie unglücklich er sich ohne auf die Nuß legt. Was eigentlich eine Selbstauskunft der Medien darüber ist, daß man ihnen nicht fair oder gar kompromißbereit, sondern arrogant und von oben herab begegnen muß, damit sie applaudieren.

Radfahren sei der Mannschaftssport der Einzelkämpfer, schrieb Scharping; man kämpfe für sich selbst, ganz allein; und dann ziehe jemand anders vor und man sei vom gleichen Moment an nur noch Teil der Mannschaft und auf das Talent angewiesen, sich über den Erfolg des Kollegen so zu freuen wie über den entgangenen eigenen.

Darin liegt viel von der Psyche, die es brauchte, den Mannheimer Metzel-Parteitag so durchzustehen, wie er das tat. Fast schien er in der Niederlage seiner Gesten sicherer als damals im Mainzer Jubelversuch. Immerhin läßt sich heute erkennen, daß sich damals eher Lafontaine zu Tode siegte; für einen kurzen Triumpf hinnahm, Schröder den nützlichen Idioten zu machen.

Ein anderer Typ Mann ist kein anderer Typ Politik. Scharpings Amtsführung als erster Verteidigungsminister im Krieg wird nicht dadurch tröstlicher, daß er mal wegen Starfighter-Rabulistik kurz aus der Partei geflogen war. Ein noch höheres militärisches Amt wie das des Nato-Generalsekretärs mag angesichts seiner Biographie noch bizarrer wirken; eine feuilletonistische Betrachtung bleibt dies gleichwohl; die Nato bleibt trotzdem das, was die ehemals Grünen mit Recht zähmen und erübrigen wollten.

Scharping wird wieder rauchen oder wieder nicht rauchen, und über beides werden Deutschlands Gagschreiber schon irgendein Ei schlagen. Raucht er, wird's ihm vermutlich schmecken; raucht er nicht, fühlt er sich gesünder. Bei Schröder dagegen bin ich sicher, daß er seine Havanna vor allem mag, weil er damit wie ein richtig geiler Freier aussieht.

Die Medien schätzen arrogante Politiker, nicht faire, ehrliche, kompromißbereiteScharpings Gesten wirken bei Niederlagen richtig angemessen

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