Schwindel mit chlorfreiem Papier

Umweltverband BUND entdeckt in einer Untersuchung Rückstände in angeblich chlorfrei gebleichten Zeitschriften, Windeln und Milchkartons und beklagt Irreführung der Verbraucher  ■   Von Jörg Stroisch

Berlin (taz) – Nicht überall, wo „chlorfrei“ draufsteht, ist auch „chlorfrei“ drin. Dumm nur, daß der Käufer es dem Papier nicht ansehen kann, ob der Hersteller die Wahrheit sagt. Denn daran ist Zweifel angebracht: Nur ein Kaffeefilter und ein Toilettenpapier erfüllten in einer Stichprobenuntersuchung des Umweltverbandes BUND wirklich das Prädikat „total chlorfrei gebleicht“. In anderen Magazinen, Heften und Windeln fanden sie Chlorspuren, auch wenn der Hersteller etwas anderes behauptet. „Verbrauchertäuschung“ nennt das der BUND. Nur 40 Prozent der 3,5 Millionen Tonnen Zellstoff seien 1998 tatsächlich chlorfrei gebleicht worden.

Es ist auch eine Frage der Definition: Ältere Grenzwerte der Papiertechnischen Stiftung Deutschlands (PTS) definieren ein Papier als „chlorfrei“, sofern ein Grenzwert von 30 mg/kg Belastung unterschritten wird. Die neuere DIN-Norm 6730 legt die Grenze jedoch bei unter 5 mg/kg fest – nur dann gilt ein Papier als „total“ chlorfrei.

Der BUND ließ elf Produkte testen – und stellte fest: Zeitschriften und Milchkartons genügen oft den strengen DIN-Normen nicht. So wiesen zwei getrennt testende Labors in den Seiten der Nachrichtenmagazine Focus und Spiegel zwischen 25 und 43 mg/kg Chlorbelastung nach. Höchstwerte um die 70 mg/kg erreichten einige Windelmarken – sie überschritten damit selbst die alten Grenzwerte der PTS. Allerdings: „Die Werte gelten nur als Indikator“, räumt BUND-Experte Helmut Klein ein. „Die Chlorbelastung könnte auch vom beigemischten Altpapier stammen.“ Dieses schädige im Recycling nicht weiter die Umwelt.

„Wir werden umgehend mit unseren Lieferanten sprechen“, erklärt Thomas Göbler, Herstellungsleiter beim Magazin Der Spiegel. „Die Werte sind besorgniserregend hoch.“ Alle Lieferanten hätten eine Verpflichtigung unterschrieben, nur total chlorfrei gebleichtes Papier zu liefern.

Es geht auch um das Versprechen der Industrie und Verlage, komplett auf chlorgebleichtes Papier zu verzichten. „Eigentlich hätten die Chlorwerte seitdem rapide abnehmen müssen“, so Klein. Denn auch über das recycelte Papier dürfte irgendwann kein Chlor mehr in den Kreislauf kommen.

Als Hinweis, daß deutsche Papiere trotzdem chlorgebleicht sind, dient den Naturschützern dabei auch eine Schätzung aus Schweden. Die schwedischen Zellstofflieferanten könnten mit ihren Kapazitäten 80 Prozent der Papiere total chlorfrei produzieren, so der schwedische Umweltexperte Rune Leithe-Eriksen. Doch sie produzieren nur 50 Prozent chlorfrei. Andererseits exportiert Schweden 80 Prozent seines Zellstoffes ins Ausland – das meiste nach Deutschland. Ohne den Druck des Verbrauchers wird die Industrie kaum ganz umstellen, obwohl dies möglich wäre.

Um nun trotzdem die Einhaltung der strengeren DIN-Norm zu suggerieren, griffen viele Produzenten zu Wortspielen. „In chlorfrei gebleichter Qualität“, heißt es etwa. „Hier wird ein Spiel mit Chlor-Grenzwerten betrieben“, beklagt BUND-Experte Klein. Oft werden die Grenzwerte, die eigentlich Toleranzen berücksichtigen sollen, auch voll ausgeschöpft: Da wird dann schon mal so lange chlorfreier Zellstoff in das chlorgebleichte Produkt hineingemixt, bis der Grenzwert unterschritten ist. Schließlich kann das Chlor ohnehin nur in Spuren im Papier sein, weil es ja bloß zur Bleichung eingesetzt wird.

„Laboruntersuchungen haben erwiesen, daß eine Chlorbelastung Flora und Fauna schädigen“, so Leithe-Eriksen. Die Giftstoffe bauen sich auf natürliche Weise kaum ab. Seit Mitte der 90er Jahre wuchs der öffentliche Druck so sehr, daß die Papierlieferanten ihre Prodution umstellten. Seitdem wurde die Belastung des Papiers mit Chlor von mehreren hundert mg/kg drastisch reduziert. „Nun ist wieder eine steigende Tendenz festzustellen“, bemängelt Klein. „Drei neue Papierfabriken setzen wieder auf Chlorbleiche.“