: Vollverpflegung statt Bargeld
■ Das Bündnis gegen Asylbewerberleistungsgesetz wirft dem Deutschen Roten Kreuz menschenunwürdige Zustände in seinen Heimen vor. DRK beruft sich auf Senatsanweisung
Drei Frauen und neun Männer hocken im Halbkreis vor einem zweistöckigen langen Haus. Auf dem Boden steht ein weißer Plastikteller: Vier Stückchen gekochte Kartoffeln, etwas Fleisch mit brauner Soße, ein bißchen Blumenkohl – das Mittagessen vom Vortag. Heute stehen Spaghetti Bolognese auf der Speisekarte. Seit 1. Juli bekommen die Flüchtlinge in den beiden vom Deutschen Roten Kreuz (DRK) geführten Heimen in Pankow-Heinersdorf eine „Vollverpflegung“.
Im Wohnheim auf der Blankenburger Straße leben zur Zeit 138 Flüchtlinge. Sie kommen hauptsächlich aus dem Kosovo. Da sie als Wirtschaftsflüchtlinge eingestuft werden, bekommen sie kein Taschengeld, keine Fahrscheine, oft keine Kleidung. Sie werden den Bezirken anhand ihres Geburtsdatums zugeteilt. Wenn sie Glück haben, kommen sie in einen der sechs Bezirke, die Sozialhilfe bar auszahlen und müssen zu ihren Ämterbesuchen nicht schwarz fahren.
Die Flüchtlinge sprachen gestern mit den Vertretern des Bündnisses gegen das „Asylbewerberleistungsgesetz“ (AsylblG) über ihre Situation. Das Bündnis wirft dem Roten Kreuz „menschenunwürdige Zustände“ in drei seiner Flüchtlingsheime vor. Neben dem Heim in der Blankenburger Straße geht es um ein weiteres Haus in Pankow und eins in Spandau. In den insgesamt neun Heimen des DRK leben rund 1700 Flüchtlinge und Asylbewerber.
Am 30. Juni liefen die Verträge mit der Senatverwaltung für Gesundheit und Soziales für die beiden Wohnheime in Pankow aus. „Als wir sie verlängern wollten, wurde uns gesagt, wir müssen uns an die gesetztlichen Bestimmungen halten“, erzählt die Pressesprecherin des DRK, Susanne Arabi. Und in diesen Bestimmungen vom Vorjahr werden die Heimbewohner als Wirtschaftsflüchtlinge eingestuft, die nur vorübergehend geduldet werden.
Laut bundesweitem Asylbewerberleistungsgesetz erhalten die Flüchtlinge eine medizinische Minimalversorgung, eine um mehr als 20 Prozent gekürzte Sozialhilfe in bar oder als Sachleistungen sowie Wertgutscheine und Chipkarten, mit denen sie nur in bestimmten Läden einkaufen können.
Berlin ist noch weiter gegangen. Von der Sozialverwaltung für Gesundheit und Soziales geht eine Initiative zur Verschärfung des Gesetzes aus: keine Geldleistungen. Die Menschen sollen in Einrichtungen untergebracht werden, die Vollverpflegung anbieten. „Wir mußten unsere Arbeitsplätze retten“, rechtfertigt Arabi die Entscheidung des DRK. Nino Ketschagmadse
Heute um 11 Uhr überreichen die betroffene Flüchtlinge und das Bündnis gegen das „AsylblG“ Protestschreiben an das DRK, Bundesallee 73.
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