:
Gebärmutter stricken in den Wehenpausen ■ Von Falko Hennig
Wie ich mal rausgefunden hab', wieviel Gramm ein Schluck Kaffee sind, das ist eine Geschichte für sich. Es begann damit, daß Heidi glaubte, wir sollten unser Baby im Geburtshaus bekommen. Da könne man sich die Musik aussuchen, und sie hätten Kerzen und eine Badewanne.
Da mußte man aber einen Vorbereitungskurs besuchen, dort legten sich alle ordentlich nebeneinander, und die Hebamme sagte: „Und jetzt geben wir unsere Gedanken an die Wolken.“ Ich langweilte mich furchtbar, so liegen müssen und die Gedanken an die Wolken geben, schrecklich! Dann waren noch so verschiedene Übungen, wie man die Frau festhalten könne zum Beispiel. Und die Frauen sollten sich überlegen, wie sie Schmerzen aushalten würden.
Die Hebamme hatte erstaunliche Lehrmaterialen, mit denen sie die anatomischen Einzelheiten der Frauen erklärte: ein Becken, also dieser menschliche Skelett-Teil, als flauschiges Kissen. Mit einer ganz normalen Puppe erklärte sie, wie der Babykörper sich da durch wurstelt. Und dann hatte sie etwas, das wie ein Strickpullover für sonderbar geformte Außerdirdische aussah, mit hängenden Fäden dran. Und das war eine gehäkelte oder gestrickte Gebärmutter. Und die Fäden stellten irgendwelche Sehnen dar. Und mit dieser Puppe erkärte die Hebamme wieder irgendeine Einzelheit der geheimnisvollen menschlichen Existenz.
Irgendwann kam dann auch das Gespräch darauf, was man denn bei der Geburt zwischen den Wehen machen könnte. Verschiedene Tätigkeiten wurden vorgeschlagen, eine junge Dame die mit ihrer Freundin die Geburt durchstehen wollte, wußte noch nicht genau, würde aber irgendeine Handarbeit bevorzugen. „Dann kannst du ja eine Gebärmutter stricken“, sagte ich vorlaut und dachte, einen mittleren Witz gemacht zu haben. Als die Hebamme, anstatt zu lachen oder mich wegen meiner Geschmacklosigkeit zu rügen, den Vorschlag allerdings ganz fantastisch fand, weil sie ja sowieso eine neue Gebärmutter brauchten, da wurde mir klar, daß hier was faul war.
Die Geburt war, jedenfalls was den Teil im Geburtshaus anging, dann auch eine Katastrophe. Während sich Heidi vor Schmerzen wand und vor Erschöpfung fast hinüber war, wurden Duftwässerchen im Zimmer verspritzt, homöopathische Kügelchen und Salben verabreicht. Und als das alles nicht half, kamen noch Akupunkturnadeln dazu.
Nach einer Ewigkeit, es waren wohl nur zwölf Stunden gewesen, ging's dann endlich ins Maria Heimsuchung nach Pankow. Dort brachten sie die Geburt relativ reibunglos über die Bühne. Saugglocke zwar, das Kind sah dadurch anfangs etwas komisch aus, aber immerhin.
Ich bekam Hühnchen und einen Kaffee. Und als ich die Tasse auf die eigentlich für die Neugeborenen bestimmte Waage stellte, waren es genau 500 Gramm, und als ich dann einen Schluck trank und die Tasse wieder hinstellte, weil ich als Beißring für die nächste Wehe herhalten mußte, waren es, siehe da: 450 Gramm. Ein Schluck Kaffee wiegt also 50 Gramm. Ich nahm noch einen Schluck, 400 Gramm, tatsächlich. Wieder was gelernt. Ja, so war das damals. Und am 3. November wird Ella jetzt schon drei.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen