Eine Chefredakteurin, die nur fliegen will

Letztes Jahr hat ein Mainzer Verleger die ambitionierte Zeitschrift „Econy“ nach rasanten Wirren gerettet. Nun glauben Gabriele Fischer und ihre Redaktion, daß sie schon wieder ein Verlag loswerden will    ■ Von Lutz Meier

Sie sitzt genauso da wie vor einem Jahr. Wie Gabriele Fischer sich aufsetzt, erst kurz nach oben guckt und dann lange durch den Raum und dann mit fester Stimme sagt: „Egal, was geschieht, wir werden weiter Econy machen“, es sind die gleichen Worte. Das gleiche ärgerliche Blitzen in den Augen, wenn die Frage im Raum steht, ob die Chefredakteurin dieses Mal nicht auch ein Aus ihres Magazins ins Auge fassen muß. Manche haben „Besessenheit“ in diesem Blick gefunden, andere „Verrücktheit“. Zwar ist Gabriele Fischer bestimmt kein Stück neben der Spur, aber die Haltung ist etwas, das nicht von dieser Welt ist – jedenfalls der von Chefredaktionen und Verlagen gewohnten Welt.

Es ist auf den Tag genau ein Jahr her, da saß Gabriele Fischer an diesem Tisch und wollte nicht akzeptieren, was ihr eben der Geschäftsführer des Spiegel-Verlages erklärt hatte, nämlich daß man befunden habe, daß ihr zwei Hefte junges Wirtschaftsmagazin Econy sich trotz allen Lobes doch nicht lohne. Gabriele Fischer belieh ihre Eigentumswohnung, pumpte Freunde an und kaufte Heftnamen, Redaktionsmöbel und ein paar Kisten Reklametüten, auf die der Spiegel-Verlag die Worte hatte drucken lassen „Ich bin kein Labersack“ und auf die andere Seite: „Ich bin kein Erbsenzähler“.

Econy wollte von kreativen Unternehmensgründern jenseits der alten Wirtschaftsklischees erzählen. Warum sollte man dann nicht auch selbst eine Firma aufmachen? Die Redaktion machte zwei Hefte in Eigenregie, die Abozahlen stiegen leicht, die Anzeigenkunden kehrten langsam zurück. Im Herbst wurde Gabriele Fischer mit den kleinen, aber in Sachen Wirtschaft geübten Mainzer Vereinigten Fachverlagen handelseinig. Die hatten neben ihren wimmeligen Oldtimerzeitschriften einen glanzvollen Titel – und Econy hatte wieder einen Verlag.

„Ein Highflyer-Magazin und ein bodenständiger Verlag“, sagt Gabriele Fischer, „das schien uns eine gute Kombination.“ Und Verleger Olaf Theisen, der sonst die Erlöszahlen von Fördern und Heben abzählen muß, freut sich über ein Objekt, „womit man auch ein kleines bißchen die Presselandschaft verändern kann“.

Doch plötzlich wird nun am WG-ähnlichen Redaktionstisch von Krieg gesprochen und davon, wie man notfalls ohne Theisen weiterleben könnte. Redakteur Detlef Gürtler hat schon mal wieder einen Businessplan geschrieben, die Runde zählt mögliche Investoren durch. Es begann vergangene Woche. Da erfuhr die Redaktion, daß ein Verlagsmann bei freien Autoren angerufen hatte: Künftig werde Econy in Mainz gemacht, ohne die Mannschaft in Hamburg. Ein Verlag, der sich erst eine Idee kauft und dann die komplette Redaktion feuert, das wäre ein einmaliger Vorgang. Es gab noch ein Telefonat, dann redeten beide Seiten nur noch über Anwälte miteinander. Immerhin traf Gabriele Fischer sich gestern vormittag am Frankfurter Flughafen mit Olaf Theisen – im Beisein von Anwälten und Zeugen. Wenn man mit der Chefredakteurin gesprochen hat scheint es fraglich, ob der Riß nicht zu tief ist, um ihn wieder kitten zu können.

Worum es eigentlich geht, ist so kompliziert wie eine Ehesache. Fest steht, daß die Redaktion nach wochenlangem Streit den Eindruck gewann, der Verlag wolle sie abservieren. Der Verlag meint, Frau Fischer habe die Kooperation aufgekündigt. Sie habe plötzlich „den Eindruck vermittelt, sie wollte auf der bisherigen Grundlage nicht mehr mit dem Verlag zusammenarbeiten“, sagt Theisen. Fest steht auch, daß ein „Werkvertrag“, der laut Kaufvereinbarung die Dinge zwischen den Seiten regeln soll, nicht zustande kam. „Weil Frau Fischer bislang keinen Werkvertrag akzeptiert hat, in jeglicher Form“, meint Verlagsgeschäftsführer Manfred Grunenberg. Weil der Verlag die vereinbarten Konditionen herunterdiktieren wollte, heißt es in der Redaktion.

Heute erscheint das neue Econy-Heft. Wer von beiden Seiten das nächste machen darf, muß schlimmstenfalls ein Richter entscheiden. Die Redaktion, sagt Gabriele Fischer, die Mainzer hätten den Kaufvertrag nicht erfüllt. Der Verlag, sagt Grunenberg, er habe er den Titel gekauft.

Noch verwirrender als der Streit ist, daß beide Seiten immer noch in den höchsten Tönen voneinander reden. Die Gespräche mit Frau Fischer seien „gut“ und „vertrauensvoll“ gewesen, erzählt Olaf Theisen. Und das Heft: „Ein tolles Heft“, schwärmt Theisen über Fischers Mannschaft, „ein besonderes Heft, das wir besonders mögen.“ So reden deutsche Großverlagsvorstände nicht einmal von ihren Blättern, wenn sie gerade müssen. Auch Frau Fischer erinnert sich nur an „gute Gespräche“ mit Theisen und an „viel Verständnis für das Heft“. Nur einmal habe es einen kleinen Konflikt um das Heft gegeben, als die preisgekröntenEcony-Layouter eine Farbseite ohne Text eingeplant hatten, die der Verlag einfach austauschen wollte („sieht aus, als sei der Redaktion nichts eingefallen“).

Inzwischen scheint Gabriele Fischer zu schwanen, daß „die Tatsache, daß die ein bißchen anders ticken als wir“, nicht mehr zum Vorteil gereicht. Im Kern geht es wohl darum, wie man das vielgelobte, aber immer noch zu wenig gelesene Heft zum Erfolg führen kann. Streit zwischen Verlagen und Redaktionen gibt es zwar immer, weil die einen das Geld haben und die anderen die Ideen. Und weil Verlage glauben, Redaktionen trieben Schindluder mit ihrem Geld, und Redakteure meinen, Verleger täten das mit ihren Ideen.

Nun ist aber Econy eine visionäre Zeitschrift, deren Redaktion für ihre Ideen ein Risiko gewagt hat und die sich daher sehr mit ihrem Heft identifiziert, von dem sie weiß, daß es eines langen Atems bedarf, um erfolgreich zu sein. Es ist also anders als die üblichen Zeitschriftenentwicklungen, bei denen der Verleger eine geldbringende Idee errechnen läßt und sich dann die dienstfertige Redaktion dazu einstellt. Der Mainzer-Verlag scheint eher günstige Auftragsredakteure gewöhnt zu sein: Frau Fischers Mannschaft sei nur ein „Dienstleister“ hatte Olaf Theisen der Süddeutschen Zeitung erklärt. „Da haben wir ein anderes Selbstbewußtsein“, rekapituliert Gabriele Fischer die Erfahrung mit der Rettung von Econy. „Wir haben das Gefühl, daß wir von dem Markt mehr verstehen.“ Auch Olaf Theisen gibt zu: „Die Frage des Werkvertrags ist nur ein Nebenkriegsschauplatz.“

Man hatte übers Marketing gesprochen, darüber, ob ein „Euro-Rechner“ als Aboprämie zum visionären Econy paßt, und über die Online-Präsenz. Ab September sollte Econy zehnmal jährlich erscheinen statt sechsmal.

„Die Frage ist, wie können wir jetzt fliegen?“ fragt Gabriele Fischer. Sie meint das sowohl inhaltlich wie wirtschaftlich. Die Auflage dürfte derzeit allenfalls die Hälfte der vom Verlag gemeldeten 60.000 Exemplare betragen. Doch die Anzeigenseiten schmücken wieder begehrte Namen – die Redaktion will durchstarten. Schließlich ist Econy das erste Medium das versucht, ob ihm Boom der Wirtschaftsberichterstattung eine Haltung möglich ist, die erkannt hat, daß Wirtschaftsjournalismus nicht den Kleinmut der Börsendaten und des Nutzwertes braucht, sondern den weiten Blick; daß er nicht Jubel braucht, sondern gesunde Skepsis, ein bißchen mehr vielleicht, als Econy derzeit hat.

Gabriele Fischer schaut wieder nach oben. „Ihr fliegt nicht mehr“, hat ein Leser neulich gemailt. Das wäre ihre große Furcht. Darum will Gabriele Fischer jetzt abheben, und sei es ein zweites Mal alleine: „Wenn ich noch ein Jahr mit dem Verlag verhandle, bin ich selbst Econy leid.“ Aber das ist im Augenblick undenkbar.