: Bideo Bangs gegen Konfuzius
Die Jugendlichen in Süd-Korea sind findig, wenn es darum geht, die konservative Moral auszutricksen und die ersten sexuellen Erfahrungen zu sammeln ■ Aus Seoul Christian Schaudwet
Ihren ersten Sex erleben viele junge Südkoreaner in einer dunklen Kammer vor einem flackernden Fernsehschirm. „Bideo Bangs“, kommerzielle Videozimmer, dienen immer mehr Jugendlichen als stille Orte für sexuelle Erfahrungen. Zugleich beobachten staatliche Sittenwächter einen Anstieg der Teenager-Prostitution. Zwei Trends, die Korea um die Moral seiner Jugend bangen lassen. Nach einer Umfrage der Kommission für Jugendschutz betrachten 63,2 Prozent der befragten Schüler die Videozimmer als Orte, an denen sich Paare zum Petting oder zum Geschlechtsverkehr treffen. 85,4 Prozent der Erwachsenen meinen, Videozimmer schadeten der öffentlichen Moral.
Anders als in europäischen Videotheken nehmen die Kunden koreanischer Bideo Bangs Filme nicht mit nach Hause, sondern sehen sie an Ort und Stelle. Dazu lassen sie sich in einer der kleinen Kabinen auf einer Couch nieder. Ein Gesetz fordert Fenster in den Kabinentüren. Aber Dämmerlicht und Enge bieten genug Intimität für eigene Aktivitäten. Videozimmer sind Rückzugszonen in den übervölkerten Großstädten. Hier finden junge Leute die Privatsphäre, die ihnen in ihren streng konfuzianischen Elternhäusern versagt bleibt. „Zu Hause ist es unmöglich“, sagt der 23jährige Student Se-Hwan. „Die Freundin, die du deiner Familie vorstellst, muß die Frau sein, die du heiratest.“
Der Kommission für Jugendschutz mißfällt nicht nur, daß die Jugendlichen in den Bideo Bangs Sex haben: „Sie können dort übernachten, können rauchen, Klebstoffe inhalieren und andere Drogen nehmen“, sagt Kommissionsleiter Kang Ji-Won. „Außerdem haben sie dort Zugriff auf Sex- und Gewaltfilme.“ Das Mindestalter für Besucher liegt bei 19 Jahren. Doch laut einer Studie gewähren neun von zehn Bideo-Bang-Betreibern Minderjährigen Einlaß. Im Ministerium für Kultur und Tourismus denkt man über strengere Bestimmungen nach, darunter die, nur noch eine Person pro Kabine zuzulassen.
Sex vor der Ehe ist in Korea noch ein Tabu. Darüber wird weder öffentlich noch in den Familien gesprochen. Um so überraschter war die Sozialforscherin Choi Jung-Ah, als sie eine Umfrage auswertete: „59 Prozent der Befragten gaben anonym über das Internet zu, Sex vor der Ehe gehabt zu haben. Bisher waren wir lediglich von neun Prozent ausgegangen.“
„Koreas Sexkultur verändert sich schnell“ titelte kürzlich eine Zeitung in Seoul und berichtete von einem Partnertauschklub für Ehepaare. Besonders die zunehmende Teenager-Prostitution beunruhigt die Öffentlichkeit. In einer landesweiten Razzia nahm die Polizei 5.400 minderjährige Frauen fest, die als Hostessen in Karaoke-Bars oder Bordellen arbeiteten. Neu ist der Trend zu mehrmonatigen Beziehungen, in denen sich ähnlich wie in Japan Mädchen gegen Sex von berufstätigen Männern aushalten lassen. Mitverantwortlich für die Teenager-Prostitution, so glauben Soziologen, ist die jüngste Wirtschaftskrise.
Die Zweckentfremdung der Videozimmer werten Forscher wie Choi Jung-Ah als Symptom einer Gesellschaft, in der Jugendliche kaum über Sex sprechen können: „Das soziale Umfeld läßt das nicht zu“, so Choi. „Besonders junge Frauen riskieren ihren Ruf, wenn sie sich offen zu sexuellen Dingen äußern.“ Die Eltern wuchsen unter Bedingungen auf, die Sex vor der Ehe praktisch unmöglich machten, und messen ihre Kinder an denselben Maßstäben. Viele Jugendliche führen ein Zweitleben, von dem die Eltern nichts wissen. Das Ausblenden von Widersprüchen kommt in der koreanischen Gesellschaft nicht von ungefähr. Es half den Menschen, die dramatischen Veränderungen zu überstehen, die der rasante Wirtschaftsboom der vergangenen 30 Jahre und der Bruch der jüngsten Wirtschaftskrise mit sich brachten.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen