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Roth krempelt Sozialsystem um

Sozialbehörde setzt Ausschreibungs-Praxis fort: Nach Drogenberatung und MigrantInnenarbeit ist nun Arbeit mit Behinderten dran  ■ Von Elke Spanner

Unbeirrbar wälzt die Behörde für Arbeit, Gesundheit und Soziales (BAGS) das Hamburger Sozialsystem um. Nach der Drogenhilfe und der MigrantInnenarbeit sind nun die Angebote für Behinderte an der Reihe: Die BAGS hat dem „Hamburger Fachdienst für berufsbegleitende Betreuung Behinderter im Arbeitsleben“ schriftlich angekündigt, daß die Trägerschaft zum Jahreswechsel öffentlich ausgeschrieben werden soll. Das Projekt, das seit 12 Jahren von der Behörde unbeanstandet arbeitet, ist damit laut Mitarbeiter Johannes Stoverink in seiner Existenz „ernsthaft gefährdet“.

Aufgabe des Fachdienstes ist es, die Arbeitsplätze von insbesondere psychiatrisch schwer Erkrankten zu erhalten. Diese werden beraten und bis zu zwei Jahre in ihrem Arbeitsverhältnis betreut. Zudem fungiert der Fachdienst als Bindeglied zwischen den Kranken und deren ArbeitgeberInnen. Die Unternehmen werden darin unterstützt, den Arbeitsplatz so zu gestalten, daß der Erkrankte diesem gerecht werden kann. In Seminaren werden zudem die Beschäftigten der Firmen im kollegialen Umgang mit Behinderten geschult – so etwa im September 30 MitarbeiterInnen der Justizbehörde.

Sie könnten die letzten sein, die vom Fachdienst unterrichtet werden. Wird dieser öffentlich ausgeschreiben, so der Vorsitzende der „Hamburger Gesellschaft für soziale Psychiatrie“, Wolfgang Kiel, „hat der derzeitige Träger keine Chance“. Ihm könnte etwas zum Verhängnis werden, worauf vorige Woche bereits der Geschäftsführer des Diakonischen Werkes, des größten Sozialverbandes in Hamburg, hingewiesen hatte: Die MitarbeiterInnen werden ihrer Qualifikation entsprechend bezahlt. Als der Fachdienst 1987 seine Arbeit aufnahm, verpflichtete er sich gegenüber der BAGS, die KollegInnen nach Bundesangestellten-Tarif zu entlohnen. Viele MitarbeiterInnen sind inzwischen seit mehreren Jahren dort beschäftigt. Folglich sind sie qualifiziert, erfahren – und teuer. Kiel fürchtet nun, daß der Fachdienst im Ausschreibungsverfahren von einem Träger ausgebootet wird, der jüngere MitarbeiterInnen mit weniger Berufsjahren beschäftigt und dadurch die gleiche Arbeit billiger erbringen kann.

Die öffentliche Ausschreibung von sozialen Projekten geht zurück auf eine neue Richtlinie, die Sozialsenatorin Karin Roth (SPD) Ende März erlassen hat. Für ihre Anwendungspraxis war sie seither von unterschiedlicher Seite vehement kritisiert worden. Weitgehend unbestritten ist zwar der Sinn dieser Ausschreibungen, soweit neu initiierte Projekte auf dem freien Markt angeboten werden. Die Senatorin hat bisher jedoch ausschließlich Projekte ausgeschrieben, die seit Jahren unbeanstandet Sozialarbeit leisten – wie nun auch der Fachdienst. Das führe zu einer Verunsicherung der MitabeiterInnen und KlientInnen, hatten die VertreterInnen etlicher Sozialprojekte bereits bei einer Sitzung des Gesundheitsausschusses der Bürgerschaft am 30. Juni moniert. Bei einer Demonstration für den Erhalt des Drogenhilfsprojektes „Palette 3“ am vorigen Donnerstag hatten die Vorsitzenden der Gewerkschaften ÖTV und DAG, Wolfgang Rose und Uwe Grund, zudem die Gefährdung der Arbeitsplätze kritisiert.

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