Am Sonntag kommt das Ende

Einst hatte das evangelische „Deutsche Allgemeine Sonntagsblatt“ mehr Leser als die „Zeit“. Jetzt droht dem maroden Wochenblatt das Aus  ■ Von Margret
Steffen

So steht es bei Micha 6, Vers 8: „Es ist dir gesagt, Mensch, was gut ist und was der Herr von dir fordert.“ Aber ach: Kaum jemand will es mehr wirklich wissen: Was gut ist, und vor allem, was der Herr fordert. Statt dessen fordert die irdische Ökonomie ihren Tribut. An diesen Übeln hat derzeit die kirchliche Presse ungemütlich schwer zu tragen, allen voran das evangelische Deutsche Allgemeine Sonntagsblatt. War es in den 60ern noch auflagenstärker als die Zeit, und lange Jahre fast genauso bedeutend, stirbt dem bundesweiten Wochenblatt heute rasant die Fangemeinde weg. Von rund 140.000 Käufern sind nur noch 46.000 geblieben, die meisten Exemplare gehen an Kirchengliederungen. Junge Abonnenten fehlen. Jetzt droht das endgültige Aus als Wochenzeitung: Am Wochenende wollen Vertreter der evangelischen Kirche darüber befinden, ob sie ihre Zeitung in ein Monatsmagazin umwandeln.

Dabei berichtet das DS aktuell und breit angelegt, von Steuerreform bis „Tocotronic“-Plattenkritik. Handlich, mit einem Schuß Farbe im Layout. Mit viel Platz für ethische und soziale Aspekte des Zeitgeschehens. Aber sind es vielleicht gerade die Debatten um Abtreibung, Genbasteleien und Atomkraft mit den christlich-humanistischen Untertönen, die potentielle Leser abwinken lassen? „Ich kann nicht glauben, daß wir in so zynischen Zeiten leben,“ sagt Tim Schleider, stellvertretender Chefredakteur des Sonntagsblatts: „Natürlich gibt es solche Tendenzen, aber es ist doch eine schöne Aufgabe der evangelischen Publizistik, dagegenzuhalten.“ Doch unter den zahlreichen weltlichen Wochentiteln, von denen es vielen anderen auch nicht gut geht, ist das Sonntagsblatt längst verzichtbar geworden.

200 Millionen Mark gibt die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) jährlich für ihr Medienimperium aus, 9 davon hielten bisher das DS am Laufen. So geht es nicht weiter, beschloß die Synode, das Kirchenparlament, schon letztes Jahr in Sachen Sonntagsblatt und gab eine Gnadenfrist bis zum nächsten Jahr. Der EKD-Rat beauftragte die Unternehmensberatung McKinsey, dem Sonntagsblatt die Zukunft zu prognostizieren. Nicht rosig ist sie, lautete die Antwort.

Deshalb will die evangelische Synode den Geldhahn jetzt langsam zudrehen. Im November will sie entscheiden, was aus ihren Zuschüssen wird. Am Wochenende setzt sich der EKD-Rat mit Medienfachleuten und Herausgeber Landesbischof Hans Hirschler zusammen, um die Umstrukturierung zu beraten. Vizechefredakteur Tim Schleider wehrt sich gegen verfrühte Beileidsbekundungen: „Wir sind hier quicklebendig und produzieren mit großer Freude.“ Und das wolle man auch künftig tun, sagt er. Dann wohl nur noch in einem Monatsheft – das ist die wahrscheinlichste Variante. Chefredakteur Arnd Brummer, derzeit im Urlaub, hat wissen lassen, er glaube, daß spezielle Themen wie Spiritualität in einem Monatsmagazin mehr Interesse bei kirchenferner Leserschaft wecken könnten. Stellvertreter Schleider redet sich den Umsturz schön: „So etwas ist eine normale publizistische Situation, vor der man sich nicht ängstigen sollte.“

Schließlich hätte es auch schlimmer kommen können: Das DS als ein Miniblatt, das sich in Kleinstauflage nur noch kircheninternen Belangen widmet. Eine weitere Option: die komplette Übernahme durch den Süddeutschen Verlag. Der Verlag der Süddeutschen Zeitung hält 50 Prozent am DS und könnte wenigstens noch steuerlich vom Niedergang des Kirchenblatts profitieren. Anders als die Kirche könnte er dessen Verluste steuermindernd mit den dicken Gewinnen verrechnen, die die SZ macht – die Kirche brauchte nur noch höchstens die Hälfte ihres derzeitigen Zuschusses zuzubuttern. Der Haken an der Sache: Der Verlag, der schon einige Sanierungsobjekte an den Hakken hat, müßte auch bei der Umstellung auf ein Monatsheft eine fünfjährige Bestandsgarantie für das Blatt geben und alle zwanzig Redakteure behalten – obwohl nur noch zehn gebraucht würden.

Die Stimmung in der Redaktion ist gemischt. Neben der Hoffnung auf einen Neustart gibt es Enttäuschung. Zu wenig sehen die Redakteure ihre Arbeit anerkannt. Geld und Zeit für Werbung und Entwicklung sind knapp. Die Neukonzeptionen der letzten Jahre, mit denen Redaktion und Eigner es noch einmal versuchen wollten, wurden neben der normalen Produktion entwickelt. So kam auch eine ansehnliche Website inklusive Online-Archiv zustande: „Wir haben immer versucht, der hohen Bezuschussung mit hochkarätigem Journalismus Rechnung zu tragen“, sagt Schleider zu den Zweifeln der Synode.

Es ist wahrscheinlich illusionär, von einer Zeitung wie dem Sonntagsblatt zu erwarten, daß sie kostendeckend arbeitet. Marktwidrige Themen kann man sich nur mit Subventionen leisten. Das habe die Kirche gewußt, als sie ihre Botschaft zur Zeitung machte, sagt Herausgeber Hirschler.

Das Hickhack um die Zuschüsse der evangelischen Kirche gibt es seit Anbeginn der Finanzierung. Hirschler erinnerte in seinem Grußwort zum 50. DS-Geburtstag im letzten Jahr: „Es war anstrengend, wenn bei fast jeder Synode der EKD der Versuch gemacht wurde, diese Zeitung, weil zu links, zu liberal, zu ungeistlich oder zu zuschußbedürftig, zu kippen.“ Da sind Stimmen laut, die Tischgebete im Redaktionshaus vermissen. Die um Papiervorräte für die lokalen Gemeindeblättchen fürchten. Schließlich seien für die Verkündigung die Pfarrer zuständig, heißt es da. Und nicht hergelaufene Journalisten, die nur wenig frommes Know-how im weltlichen Gepäck führen. Einen „ständigen Eiertanz“ nennt Hannes Schoeb, Sprecher der EKD, die unerfreuliche Tradition des Drohens. Längst sei der Eindruck entstanden, das Blatt würde nur noch zum Selbstzweck produziert.

Viele gestandene Mitarbeiter haben das DS bereits verlassen, sind dorthin gegangen, wo ihre Zukunft nicht nur ein Tagesordnungspunkt im Haushaltausschuß ist. Die Leute, die dort über die Zeitung streiten, kommen aus den unterschiedlichsten Abgründen des Kirchenapparats. Da hat jede der 24 Landessynoden mindestens soviel Einfluß wie die Bundesebene. So wurden Reformideen blokkiert, die das Sonntagsblatt zum Mantel für die kleinen Kirchenzeitungen ausbauen wollten.

Es war ein stetes Hüh und Hott ums Sonntagsblatt, dem einen zu fromm, dem anderen zu weltlich. Das Blatt hat inmitten dieser Interessenkonflikte weder aus seiner 68er-Polemik herausgefunden, noch fand es Gelegenheit, eine ordentliche PR-Strategie zu erstellen. Hebräer 12, Vers 1 scheint unvermeidliches Motto der Redaktion zu bleiben: „Laßt uns laufen mit Geduld in dem Kampf, der uns verordnet ist.“