: Wie eine Rakete
■ Seit 1991 verschickt der Friedensaktivist Wam Kat per E-Mail sein Tagebuch – ein detaillierter Blick auf die balkanische Realität
Daß er ein „fucking old Hippie“ sei, sagt Wam Kat von sich selbst. Und wenn der schlaksige Mann mit dem faltigen Gesicht, den langen, fast grauen Haaren und den notorisch zerrissenen Jeans dabei lächelt, dann hat das Kraftwort gar nichts Negatives mehr. Im Gegenteil: Der überzeugte Vegetarier und Pazifist, der eigentlich Jan Pieter Frederik Willem Kat heißt, kommt bei jedermann gut an.
„Jedermann“, das heißt bei Wam eine Menge, denn zumindest in Osteuropa war der 1955 in Zeist/Niederlande geborene Doktor der Soziologie schon so ziemlich überall – zum Beispiel 1978 als Vorsitzender des Jugendverbandes der „Sozialistisch-Pazifistischen Partei“ bei Titos Geburtstag. „Das war das erste Mal, daß ich jugoslawischen Boden betreten habe“, erinnert sich Wam, „und ich hätte damals nie gedacht, daß ich so oft in dieses verdammte Land zurückkommen würde.“ Tatsächlich blieb Wam von seiner Visite beim „Alten“ über 20 Jahre lang balkanabstinent. Der heute 43jährige, der seinen Spitznamen wegen seiner Durchschlagkraft – „Wam!“, wie eine Rakete – erhielt, war anderweitig aktiv: Unter anderem arbeitete er bei der Unesco und gründete das Buch-, Koch- und Friedenskollektiv „Rampenplan“.
Erst Ende 1991, kurz vor Ende des Krieges in Kroatien und knapp vor Beginn der Kämpfe in Bosnien-Herzegowina, zog es ihn wieder auf den Balkan. „Praktische Friedensarbeit – das, was man auf englisch Peacebuildung nennt – kann man nicht machen, wenn gekämpft wird“, erklärt der alte Hippie, „nur vorher und, wenn wir nicht erfolgreich waren, auch nachher.“ Also meldete er sich im kleinen, miefigen Büro der kroatischen Antikriegskampagne ARK in Zagreb – und überfuhr die FriedensaktivistInnen mit der für „Wam!“ typischen Flut von Ideen.
Was Wam Kat damals dachte, wen er traf und woran er arbeitete, kann man heute noch nachlesen. Seit 1991 führt er sein „Zagreb Diary“ – ein elektronisches Tagebuch, das später mit dem Ort mehrmals den Namen wechselte. Vom Krieg in Kroatien über den in Bosnien bis zur Kosovo-Flüchtlingskatastrophe und der Bombardierung Serbiens schrieb Wam täglich auf, was er sah und was ihm die Menschen, die er traf, erzählten. Das Ergebnis – einzusehen unter www.balkansunflower.de – ist ein sehr viel detaillierterer Blick auf die balkanische Realität, als ihn Medien jemals leisten könnten. Mittlerweile ist das „Diary“ im achten Jahr. Zur Zeit schreibt Wam auf einem alten taz-Laptop in der albanischen Hauptstadt Tirana.
„Am Anfang hat ihm natürlich keiner geglaubt“, erinnert sich der Zagreber Journalist Saša Miloševic, bei Wams Ankunft in Zagreb einer der Aktivisten der Friedensbewegung ARK. „Aber dann merkten wir doch recht schnell, daß es der komische Typ aus Holland faustdick hinter den Ohren hat.“ Innerhalb weniger Monate zauberte Wam, der seit langem mit Computern gearbeitet hatte, den kroatischen Pazifisten nicht nur ein bis heute einzigartiges Layout für ihre Zeitschrift ARKzin. Per Internet brachte er auch die seit der Sperrung der Telefonverbindungen zwischen Serbien und Kroatien 1991 schwierige Kommunikation mit der Friedensbewegung auf der anderen Seite wieder in Gang.
Zusammen mit anderen Computerfreaks schuf Wam ein Computernetzwerk namens „Za Mir“ – serbokroatisch „für Frieden“. „Die größte Überraschung war, daß zum Staunen aller Zweifler tatsächlich bald jede Oma den Computer bedienen konnte“, erinnert sich Branko Krstulovic, der heute als Systemtechniker für die Vereinten Nationen arbeitet. „Die Leute hatten Vertrauen in Za Mir. Erst seit zwei, drei Jahren, seitdem der Krieg auch gefühlsmäßig völlig vorbei ist, sind sie zu moderneren Systemen gewechselt.“
Das Kriegsende veränderte die Arbeitsumstände für die exjugoslawische Friedensbewegung völlig. Schon 1993/94 hatten Wam und die anderen Aktivisten aus der mittlerweile gewachsenen Zagreber Antikriegskampagne ihr Hauptquartier ins westslawonische Pakrac verlegt. Das „Pakrac Volonteer Project“ brachte im Laufe der ersten zwei Jahre seines Bestehens Hunderte Freiwillige in die zerstörte Kleinstadt. Meist waren es Mittelklasse-Kids aus Westeuropa oder den USA, die in der Friedensbewegung aktiv waren. Aber nach Pakrac kamen auch exotische „Volunteers“ wie drei polnische Deserteure, von denen zwei lange Mähnen und einer einen irren Afrolook trugen.
Die Offensive der kroatischen Armee am 1. Mai 1995 machte die bisher geleistete Arbeit der Volunteers mit einem Schlag zunichte. „Plötzlich waren die allermeisten unserer Freunde und Bekannten auf der serbischen Seite weg“, schrieb Wam im „Diary“, „und auf der kroatischen Seite war nach dem Sieg der Wille zur Zusammenarbeit mit uns gleich Null.“ Bis zum Sommer tingelte der alte Hippie noch in Bosnien, Serbien und Kroatien und bastelte an Za Mir. Dann zog er sich in die Landkommune ZEGG in Brandenburg zurück, „zur Erholung“.
Doch Erholung ist Wam Kats Sache nicht. Anfang dieses Jahre packte Wam angesichts der Lage im Kosovo wieder mal seinen Rucksack. Bis heute ist er nicht wieder im ZEGG aufgetaucht. „Eigentlich war Balkan Sunflower als Hilfsprojekt für die vertriebenen Kosovaren in den Flüchtlingslagern Makedoniens geplant – mit Freiwilligen, ähnlich wie das Pakrac-Projekt“, schreibt er im „Diary“. „Aber die schnelle Rückkehr der Kosovaren schafft jetzt hier, in Albanien, Probleme, mit denen sich keine große internationale Organisation beschäftigen wird, weil hier kein Krieg ist. Noch nicht.“ Rüdiger Rossig
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