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An den Straßensperren von Kano liegen die Leichen

■ Nigeria kommt nicht zur Ruhe. 200 Tote bei Gewalt zwischen Yorubas und Haussas

Berlin (taz) – Die Armee patrouilliert, nachts herrscht Ausgangssperre, und verängstigte Überlebende suchen nach sicheren Orten. Kano, größte Stadt im muslimischen Norden Nigerias, kommt sechs Tage nach dem Beginn gewaltsamer Auseinandersetzungen zwischen einheimischen Haussas und zugewanderten Yorubas aus dem Süden des Landes nicht zur Ruhe. Die Zahl der Toten wird mit bis zu 90 angegeben, was jedoch nach neuesten Berichten untertrieben scheint. Sie addieren sich zu den mutmaßlich über 100 Opfern der Unruhen im südnigerianischen Sagamu vor einer Woche, wo Yorubas auf zugewanderte Haussas losgingen.

„Wir schickten sechs Wagen hinaus, um Leichen einzusammeln, und ich sah in jedem 10 bis 15 Körper“, sagte ein hochrangiger Polizeioffizier in Kano am Montag, nachdem Milizen tagelang Häuser von Yorubas und von solchen Haussas, die Yorubas Zuflucht gewährt hatten, angezündet hatten. Berichte, wonach Ruhe eingekehrt sei, nachdem Tausende von Yorubas sich in die Obhut von Polizei und Armee begeben hatten, erwiesen sich dann jedoch als verfrüht: Banden von aufgehetzten Haussa-Jugendlichen machten sich auf die Suche nach den geflohenen Yorubas, da sie gehört hatten, Yoruba-Frauen und Kinder versuchten, die Stadt zu verlassen. Es soll zu regelrechten Massakern gekommen sein.

Wie die Zeitung Post Express gestern berichtete, errichteten Haussa-Milizen Barrikaden auf allen aus der Stadt hinausführenden Straßen, um Fliehende aufzuhalten und zu ermorden. „Die Hauptstraßen waren von den Leichen der Opfer übersät, besonders die Straße nach Katsina, die einzige große Straße der Gegend“, heißt es in dem Bericht. Der Guardian meldete, in einem Vorort von Kano hätten die Milizen eine Polizeistation voller Yoruba-Flüchtlinge angegriffen und Dutzende von Menschen getötet. Manche von ihnen seien geköpft worden.

Die Unruhen hatten am 17. Juli in der südnigerianischen Stadt Sagamu begonnen, als eine Frau des nordnigerianischen Haussa-Volkes eine Prozession der einheimischen Yoruba-Bevölkerung störte. Yoruba-Milizen gingen daraufhin mehrere Tage lang auf die Jagd gegen Haussa-Einwanderer und töteten um die 100 Menschen. Als flüchtende Haussas die Stadt Kano im Norden des Landes erreichten, begannen dort die Racheangriffe gegen Südnigerianer. Deren Ausmaß ist jetzt dermaßen beängstigend, daß wiederum mit Racheakten im Süden Nigerias zu rechnen ist. Schlimmstenfalls könnte eine Spirale der Gewalt im gesamten Land entstehen und Nigeria in den Bürgerkrieg stürzen.

In mehreren Bundesstaaten haben die Behörden bereits Maßnahmen eingeleitet, um eine Ausweitung der Pogrome zu verhindern. Traditionelle Führer der ethnischen Gemeinschaften werden dazu aufgerufen, Friedensappelle zu verbreiten, und Reisende auf den großen Straßen werden verschärft kontrolliert. In Nigerias größter und kosmopolitischster Stadt Lagos, die mehrheitlich von Yorubas bewohnt ist, schlug Gouverneur Bola Tinubu am Sonntag Alarm: „Wir sind zuverlässig informiert worden, daß manche Leute planen, den Vorfall in Sagamu zu benutzen, um im Staat Lagos ethnische Konflikte zu schüren und zu provozieren, um ihre eigenen persönlichen Ziele zu fördern. Wir dürfen nicht zulassen, daß wir von diesen Feinden des Fortschritts, des Friedens und der Demokratie als Werkzeuge mißbraucht werden.“

Die Regierung von Präsident Olusegun Obasanjo macht derweil keine Anstalten, der Gewalt politisch zu begegnen. Informationsminister Dapo Sarumi sagte in der Hauptstadt Abuja lediglich, die Opfer sollten entschädigt werden. Dominic Johnson

Kommentar Seite 12Schlimmstenfalls könnte eine Spirale der Gewalt im ganzen Land entstehen und Nigeria in einen Bürgerkrieg stürzen

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