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Kahle Gänge, drückende Stimmung

■ Beobachtungen im Volkshaus: In dem tristen Gebäude trifft seit kurzer Zeit das besonders schwere Klientel aufeinander

Die Pförtner-Loge in der Eingangshalle des Volkshauses ist nicht besetzt. Auskünfte im dritten Stock, steht da. Wegweiser sind Mangelware. Man braucht zehn Minuten, um den engen Warteflur im ersten Stock zu finden, wo jetzt, am Monatsende, Straffällige auf ihre Sozialhilfeberater warten und auf die Auszahlung ihrer Sozialhilfe hoffen. Dabei ist der Gang direkt neben der Treppe. Wenn unten in der Halle der abgestellte Hund bellt, hallt das Kläffen bis in den Warteflur. Zehn Ex-Häftlinge sitzen auf den Bänken und warten.

Man kennt sich hier. Einige lesen „BILD“ und „Stern“. Andere starren auf die Wände. Die Ursprungsfarbe muß ungefähr bei giftig-mint gelegen haben. Tageslicht gibt es erst in den Beratungszimmern, der PVC-Boden reflektiert Neon. Ein einziges Bild hängt an der Wand, sonst alle zwei Meter eine Aufforderung, nicht zu rauchen. Nicht alle halten sich daran. Die Akustik verstärkt jedes Gespräch in dem Gang bis zur Mithör-Lautstärke.

„Ich hab ihm noch gesagt, er soll den ganzen Kram wegwerfen nach dem Bruch“, sagt einer. „Aber klar – der Idiot hat das nicht gemacht. Die Polizei hat seine Brieftasche gefunden. Und ich habe noch vier Jahre auf Bewährung“, erzählt er seinem Freund. Eine Frau murmelt ihrem Begleiter zu, sie werde nicht geschlagen. Sondern gewürgt. „Das ist fast das gleiche. Lange mach ich das nicht mehr mit.“

Ein Mann hält eine große Flasche Fanta in der Hand. „Ist das pur oder was?“ fragt eine Wartende. Unter dem Sitz liegt eine leere Flasche Klarer. Als sie einen Schluck abbekommt, zieht sie gierig. „Mann, wie lange dauert das noch? Ich muß total dringend zum Arzt“, jammert sie und schreit kurz darauf enthemmt los. „Du bekommst deinen Saft schon noch“, wird die Frau auf Entzug von einem Mitwartenden beruhigt, „jetzt mach hier mal nicht so einen Terz.“

Auf dem gleichen Flurabschnitt ist noch die Ausländerberatung der AWO untergebracht. Heute ist keine Sprechstunde. Aber wenn hier Knackis und Ausländer gemeinsam auf dem engen Flur warten müssen, wird es oft laut, berichtet ein Sachbearbeiter. Seit dem Umzug im März müssen sie zusammen auf einem engen Gang warten. Kein Planer hatte daran gedacht, daß es da schnell krachen kann.

Geladen kommen viele Menschen in die Gesprächssituation bei AWO oder Sozialamts-Mitarbeitern. Jetzt will einer von den drei Knacki-Betreuern auch noch in Erziehungsurlaub gehen. Ausgerechnet der einzige Mann. Eine Mitarbeiterin habe schon angekündigt, dann nicht mehr ohne Wachdienst arbeiten zu wollen, aus Angst vor Übergriffen. Neu wäre das nicht: Kurz nach dem Umzug hatte man schon einmal einen Schwarzen Sheriff organisiert.

Auch die Abteilung für Nichtseßhafte und Drogenabhängige ist im Juli ins Volkshaus gezogen, einen Gang weiter. Damit treffen jetzt regelmäßig alle Problemfälle im ersten Stock aufeinander. Die räumliche Trennung läßt zu wünschen übrig. Unter dem Dach wären noch Büroräume frei, um die Wartesituation zu entzerren – doch aus arbeitsschutzrechtlichen Gründen können sie nicht genutzt werden.

Die Holzbänke im Warteflur der Drogenabhängigen und Obdachlosen sind von vergessenen Zigaretten angekokelt. Ein Hinweisschild, daß die Angestellten der Polizei gesuchte Personen melden müssen. Ein Dicker meckert mit einer Bekannten. Wird lauter. Macht Anstalten, auf sie loszugehen. Bis ein anderer mit Autorität dazwischengeht. „Laß die Frau in Ruhe“, brüllt er. Kabbelei liegt in der Luft. Eine Frau scheitert an Tür Nummer 147. „Diskriminierend ist das hier“, sagt sie laut. „Vor dem Umzug bin ich viel schneller drangekommen.“

Personalrätin Anne Grunert scheint schon kapituliert zu haben. „Wir haben vor dem Umzug immer wieder ein Gesamtkonzept für das Haus eingefordert“, sagt sie. Doch vorgelegt wurde nur ein Raumkonzept. Kein Geld sei da für Gedanken, wie man durch Architektur Konflikte in dem sechzig Jahre alten Gebäude vermeidet. Die einzig gangbare Lösung scheinen derzeit neue Umzüge innerhalb des Hauses zu sein. „Aber wenn ein Mitarbeiter erst einmal in einem Zimmer sitzt, zieht er da so schnell nicht wieder aus“, sagt Grunert. Man wird mit der Situation zurecht kommen – bis es mal so richtig knallt.

Christoph Dowe

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