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Die Einpolnung der Deutschen

■ Wie ein gefälschtes Amtsschreiben die Oder-Neiße-Linie verschiebt und dadurch die Bürger einer kleinen Grenzstadt im Sächsischen verstört

Berlin (taz) – Zittern in Zittau. Der Bürgermeister berichtet, ältere Menschen seien verschreckt, eine Mitarbeiterin des Landrats spricht von „großer Bestürzung“, und die Sächsische Zeitung titelte, „wie eine Bombe“ habe jenes Schreiben eingeschlagen. Daraus erfahren die Bürger, daß ihre kleine Stadt an der sächsisch-polnischen Grenze ab 2002 zum Staatsgebiet der Republik Polen gehören wird. Als Absender steht oben drauf: „Sächsisches Staatsministerium des Innern“ (siehe Doku).

Die Aufregung begann am Sonntag, als ein Zittauer den Bürgermeister anrief. Ob es denn stimme, daß seine Stadt demnächst zu Polen gehört? In einer „Vorabinformation des Innenministeriums“, die er in seinem Briefkasten gefunden habe, stehe, er müsse Pole werden und Polnisch lernen. Bei diesem Anruf dachte Bürgermeister Jürgen Kloss noch, das sei „ein Einzelfall“. Als das Telefon dann ständig klingelte, habe er geahnt, daß es „eine gezielte Aktion“ sei: Ein Scchreiben mit Briefkopf, Amtssiegel und Unterschrift eines angeblichen Innenstaatssekretärs war im Eichgrabener Weg, der Sachsenstraße und drei weiteren Straßen aufgetaucht. Darin hieß es, eine Neuvermessung der auf der Konferenz von Jalta festgelegten Grenze habe einen Fehler aufgedeckt. Tatsächlich verlaufe die Grenze „5,24 Kilometer westlich von Zittau“. In einem Fax an alle Lokalradios warnte Kloss, die „getätigten Aussagen“ seien frei erfunden.

Nun ist Kloss ratlos und ein bißchen verärgert. „Wir wissen nicht, was der Verfasser damit bezweckt, außer Unruhe zu stiften.“ Nicht nur gebe es Kultur- und Sportveranstaltungen mit den polnischen Nachbarn, auch die Feuerwehren von Zittau und Bogatynia würden gemeinsame Einsätze fahren. „Böswillig“ sei das Flublatt. Deswegen will es Kloss auch nicht an die taz faxen. Sonst macht er sich womöglich noch mitschuldig.

Auch von der zuständigen Polizeidirektion in Görlitz ist keine Kopie des Corpus delicti zu erhalten. Das hätte es ja noch nie gegeben, daß die Ermittlungsbehörde „Beweismaterial“ verschikke, sagt der Polizeisprecher Andreas Korn. Denn die Kriminalpolizei ermittelt jetzt wegen Urkundenfälschung und Mißbrauch eines Amtstitels. Gesucht werden „sachdienliche Hinweise zu einem etwa 25jährigen Pärchen“.

In Zittau wird nun gerätselt, welche Ziele die Absender verfolgen. Waren es nationalistische Polen, die statt der Eindeutschung Polens die Einpolnung Deutschlands verlangen? „Mich kriegen die aus meinem Haus nicht raus“, erklärte eine Einwohnerin der Kreisstadt, die das offenbar mutmaßt. Eher auf eine Spaßguerilla aus der linken Ecke deutet der Hinweis im Flugblatt hin, wer die „Neuvermessung“ veranlaßt habe: „die deutschen Vertriebenenverbände“. Die Polizei rätselte gestern noch. Dabei könnte den Zittauern schon die nächste Eingemeindung drohen: Auch Tschechien liegt nur wenige Kilometer entfernt. Georg Löwisch

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