Zwischen den Rillen: Some Candy Talking
■ Female Lust mit Attitude: Neue Alben von Luscious Jackson und Cibo Matto
Daß sich die New Yorker Frauenband Luscious Jackson mit dem Cover-Artwork ihres neuen Albums „Electric Honey“ sonderlich viel Mühe gegeben hat, läßt sich beim ersten Hinschauen nicht gerade behaupten: Paßfotos von Kate Schellenbach, Jill Cunniff und Gabrielle Glaser stehen da über den Leuchtanzeigen eines Mischpultes, die Nadeln zeigen bis zum Anschlag, oben steht groß der Bandname, unten klein der Titel des Albums. Und im Innersleeve wechseln alte Kinderbilder mit Aufnahmen, auf denen Luscious Jackson zusammen mit dem Equipment in ihrem Studio posieren.
Doch was hier so vermeintlich einfallslos niemanden zu einem Blindkauf animieren dürfte, macht Sinn vor dem Hintergrund der gut sechs Jahre dauernden Bandgeschichte.
Zum einen verabschiedete sich eines der Gründungsmitglieder, die Keyboarderin Vivien Tremble, die im Rock-'n'-Roll-Lifestyle nicht mehr den ersten Sinn ihres Lebens sah. Zum anderen deutet das Artwork zusammen mit dem Titel auf veränderte Produktionsbedingungen und einen neuen (eigentlich aber alten) Sound, auf den Rückgewinn der Kontrolle über die eigene Musik, auf eine Art zweiten Anfang.
Nachdem Luscious Jackson in ihren Anfängen erfolgreich eine ziemliche lockere Mischung aus Rocksongs und HipHop-Sounds, aus Blaxploitation-Funk und Sunshine-Pop gedroppt hatten und als weibliche Alternative zu den Beastie Boys gefeiert wurden (die auch Entdecker und Labelbosse von Luscious Jackson sind), veröffentlichten sie 1996 mit „Fever In Fever Out“ eine Art „Beauty Stab“ (legendäres zweites Metalrock-Album der 82er-Popper ABC): Aus- und überproduziert von Daniel Lanois, spielten sie jetzt nicht mehr einfach drauflos, sondern hatten plötzlich perfekte Songs und perfekte Harmonien im Repertoire. Wahrlich schöne Songs, Folk-songs gar, die die Damen aber in den Verdacht brachten, Lagerfeuerromantik im Sinn und das Establishment des Mainstream im Visier zu haben.
Auf „Electric Honey“ haben sie nun wieder ihre Stücke allein oder zusammen mit ihrem alten Mitstreiter Tony Mangurian produziert. Wie früher zieht in den meisten Songs jetzt wieder die Beatbox rumpelnd ihre Bahnen, eine Reihe von weiblichen Gaststars wie Debbie Harry, Petra Haden von That Dog oder Emmylou Harris mischen auf dem Album mit, ohne seinen Charakter entscheidend zu beeinflussen, und überhaupt scheint musikalisch alles freier, lockerer, vielseitiger und tanzbarer geworden zu sein.
In Songs wie der Singleauskopplung „Ladyfingers“, „Devotion“ oder „Fantastic Faboulous“ findet man jetzt wieder auf Anhieb diese fast nur ihnen eigene Mischung aus Melancholie und übersprudelnder Lebensfreude, aus Coolness und Selbstbewußtsein: Luscious Jackson haben es noch nie nötig gehabt, sich Härte, Bitchness oder Riot Girrrlism in die Songs zu ritzen. Statt dessen erzählen sie lieber von dicken Freundschaften und dünner Luft, von Space Diven und „Nervous Breakthroughs“ und bringen ihr wahrscheinlich auch zukünftiges Schaffen so auf den Punkt: „I believe you believe in the myth of yourself, I believe you believe you couldn't be anywhere else.“
Gut als Gäste auf „Electric Honey“ hätten sich auch Cibo Matto gemacht. Nicht nur, daß die beiden in New York City lebenden Japanerinnen Miho Hatori und Yuka Honda den Kolleginnen von Luscious Jackson wahrscheinlich Tag für Tag irgendwo zwischen Tompkins Square und Washington Square begegnen: Auch Cibo Matto erfanden sich ein souveränes und lockeres MixMag-Girlrockmodell, auch sie warfen in ihr Albumdebüt „Viva! La Woman“ alles, was sie kannten und mochten, rumpelnde HipHop-Sounds, Funk-und Jazz-Samples, Low-Fi-Rock, file under Beastie Boys und Buffalo Daughter, und statteten das zusätzlich mit ihrem smart-japanischen Mega-Babe-Charme aus, file under Shonen Knife.
Sie sangen von wichtigen Dingen wie Liebe, Lebensmitteln und der Liebe zu Lebensmitteln wie Aprikosen, Äpfeln oder Artischocken. Und sie boten sich den kleinen und großen Mädchen aus den Suburbs als genauso cooles wie quietschbuntes Rollenmodell aus dem Village an, ohne daß man allerdings erwartet hätte, daß sie in einer fernen Zukunft noch mehr als ein paar Hipster-Dividenden abwerfen würden.
Doch statt sich nun wieder hauptsächlich in Grocerys und Kunsthochschulen herumzutreiben, haben Hatori und Honda in den vergangenen Jahren intensiv an Band und Musik gefeilt.
Hatoris Lover Sean Lennon ist genauso wie der Drummer Timo Ellis als festes Bandmitglied dazugekommen, und die Songs wirken durchdachter und transparenter, ohne daß sie nun ihre überraschenden Wendungen und Interludes verloren hätten: Zwischen all die vielen zurückgelehnten Japanese Whispers mit Jazz-Samples und Flower-power-Atmosphären verirrt sich immer mal wieder schwerer Doom-Metal.
Cibo Matto wissen, daß man nicht jeden Tag zum selben Groove tanzen kann, und mittlerweile deuten sie auch in ihren Texten hin und wieder an, daß manche Worte schwerer wiegen als tausend Blumen, daß es nicht immer einfach ist, die eigene Person samt Psyche zu verstehen: Female Lust und Frust mit Attitude sagt Willkommen zum neuen Jahrtausend! Gerrit Bartels
Luscious Jackson: „Electric Honey“ (Grand Royal/EMI)/Cibo Matto: „Stereotype A“(WEA)
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