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Übungsstoff für Jedi-Ritter

Welcome to the Pleasure Dome: Buckminster Fuller war Laienforscher, Philosoph und Architekt von Kuppelbauten. Eine Ausstellung in Zürich widmet sich den Entwürfen des ersten futurologischen Designers  ■   Von Harald Fricke

Vor drei Jahren hatte es nicht geklappt. Damals sollte parallel zur deutschen Wiederveröffentlichung seiner „Betriebsanleitung für das Raumschiff Erde“ die erste große Retrospektive der Arbeiten von Buckminster Fuller stattfinden. Immerhin hätte man die Ausstellung dann mit etwas Schräglage ein Jahr nach dem 100. Geburtstag des amerikanischen Architekten, Forschers und Designers eröffnen können. Doch weil sich der Kontakt zu den US-Leihgebern seiner Modelle und Projektskizzen hinzog, wurde ein neues Datum anberaumt. Jetzt wird das Jubiläum im Züricher Museum für Gestaltung gefeiert – mit vier Jahren Verspätung. Weil aber der 12. Juli nun auf einen Montag fiel, war das Museum am eigentlichen Geburtstag doch wieder geschlossen.

Fuller selbst wäre dieses Dilemma erspart geblieben. Als Spezialist in Sachen Statistik hätte der 1983 verstorbene Architekt jede Abweichung mitberechnet. Vielleicht wäre ihm das Spektakel aber auch egal gewesen, so wie bei Fuller ohnehin alle Entwürfe bloß auf die Zukunft des Bauens ausgerichtet waren. Wer vorschlägt, Manhattan mit einer Plastikglocke zu überdachen, um Energie zu sparen, hat vermutlich andere Sorgen als einen Rückblick auf die eigene Vergangenheit.

Dabei wird die von Claude Lichtenstein und Joachim Krausse zusammengetragene Ausstellung „Your Private Sky“ dem gewaltigen biographischen Konvolut zu Fullers Lebenswerk durchaus gerecht. Zaghaft deutet sich gleich in der Einleitung zum Katalog an, daß man es hier nicht unbedingt mit einem Profi zu tun hat – was immer sich Fuller an Ideen patentieren ließ, produziert wurden doch nur einige Prototypen. Auch seine Lizenz, ohne die Aufsicht eines ausgebildeten Architekten bauen zu dürfen, erhielt der Autodidakt erst 1975. Statt dessen wird Fuller mit einem weit gefaßten Persönlichkeitsprofil beschrieben, das vom Marineoffizier und Ingenieur bis zum Designer, Geometer und Philosophen reicht – „freundlicher Lunatic“ nicht zu vergessen.

Offenbar fällt es schwer, Fuller auf ein Gebiet festzulegen, weil er grundsätzlich kreuz und quer gearbeitet hat. Das Zauberwort heißt „Synergetics“: Als Ingenieur entwarf er Autos, deren Design einer Rakete entsprach, seine Kuppelmodelle für Gebäude waren von der Molekularbiologie inspiriert, und über die mathematische Erforschung von Landkarten kam er in den 60er Jahren zur Computersimulation seines „World Game“. Heute würde man Fuller wohl eher als begeisterten Laienforscher charakterisieren, dessen flatterhafter Umgang mit neuen Technologien trotzdem gut in die wechselnden Modernisierungsphantasien von Schröder oder Blair passen könnte – bauen die Engländer nicht gerade an ihrem „Millennium Dome“?

Für die Wissenschaft des Atomzeitalters war das ansatzlose Herumexperimentieren zwischen Hausbau und Weltformel jedoch befremdlich. Bei aller Liebe zu den Ideen bildete der Erfinder Fuller eine ähnliche Außenseiterposition wie Hollywood-Regisseur Ed Wood: Die Grenzen zwischen Massenfertigung, Trash und hoher Kunst sind bei Objekten wie dem Badezimmerbausatz „Dymaxion Bathroom“ zumindest schmal. Das Prinzip seiner „geodesic domes“ beruht dagegen auf wunderbarer Klarheit. Weil sich bei gewölbten Körpern der Druck nicht mehr nur auf die stützenden Wände, sondern über die gesamte Fäche verteilt, konnte Fuller mit einfachen Stahlverstrebungen und Plastikmodulen Kuppeln von der Größe einer Kathedrale entwerfen. Die Konstruktion trägt sich praktisch selbst.

Entsprechend sieht es im Museum eher nach einer Fabrikhalle aus, in der die Exponate noch nicht vollständig zusammengeschraubt sind. Wohnwaben und Ruderboote auf Gleitschienen stapeln sich im Zentrum; Vitrinen mit Texten und Fotos dokumentieren, warum die Torpedoautos oder Kugelhäuser von Fuller niemals in Serienproduktion gingen; und die Fenster sind mit Stoffahnen verhängt, auf denen nachzulesen ist, wie der Segelfan aus dem Bundesstaat Maine im nordöstlichsten Winkel der USA zum Visionär des space age wurde, auf den sich trotz militärischer Weihen selbst Hippie- und Ökologiebewegung einigen konnten.

Obwohl „Your Private Sky“ mit wenigen Originalen und einem Dutzend Nachbauten auskommt, ist die Ausstellung vollgepackt. Es liegt an Fullers eigener Dokumentationswut: Bereits 1915 beginnt er als Lehrling in einer Baumwollfabrik, die Erfahrungen im Umgang mit Maschinen schriftlich festzuhalten. Über die Jahre wird aus diesem Tagebuch aus der Produktion ein in Leder gebundenes „Dymaxion Chronofile“ mit 750 Bänden und mehr als 100 Laufmetern Umfang. In Zürich bekommt man zwar nur einen Bruchteil der Studien geliefert und ist doch rasch überfordert. Das wilde physikalische Denken Fullers, die ständige Verknüpfung von exakter Wissenschaft und Spekulation vermischen sich zu einem Utopia, wo sowjetische Bauern 1931 in tortenartig aufgetürmten Kollektivhäusern wohnen sollen – in einem Modell, dessen einzelne Etagen sich aus Schallplatten zusammensetzen.

Fast zwangsläufig verliert man sich auf diesem Parcours, der Fullers Idee von „Design als Kunst einer Wissenschaft“ entfaltet, nach ein paar Metern Stellfläche in den Widersprüchen zwischen Arbeit und Leben. Eben noch war davon die Rede, daß sich der 32jährige nach einer ersten Pleite als Aufsichtsrat einer Baufirma und dem Tod seiner Tochter Alexandra ins Wasser stürzen wollte. Doch bereits eine Wand weiter schreibt Fuller in sein Skizzenbuch aus demselben Jahr:„It takes ten tailors to make a man“, und zeichnet Science-fiction-Bilder mit kommunizierenden Sendemasten daneben. All diese Vorstellungen münden in dem Buch „4-D/Time Lock“, das er 1928 in einer 200er-Auflage drucken läßt. Dort ist die ganze Erde eine geeinte Welt, auf der man in Luftschiffen von Ort zu Ort und von Kontinent zu Kontinent transportiert wird. Daß der Entwurf auch heute noch Anhänger findet, wird am Ende des Rundgangs deutlich: Dort wirbt die Cargolifter AG als Sponsor der Ausstellung für ihren umweltfreundlichen Transportzeppelin.

Für Fuller ist es immer auch ein Stück weit Flucht aus der Zeit, mit der er die Forschungen betreibt. Jeder Entwurf schafft nicht bloß Verbesserung, sondern eine Aufhebung der Wirklichkeit. Aus diesem Grund schwärmt er für seine Großtante Margaret, die zum Kreis der Transzendentalisten um Thoreau gehörte. Stets fallen auch bei ihm amerikanischer Traum und Selbsttherapie zusammen: Jede Neuerung zielt zwar auf das Wohl der gesamten Gesellschaft ab und wird doch im Privaten durchgespielt. Sein kreisrundes „Dymaxion House“ aus Leichtmetall sollte einen Standard für den Wohlstand auf der ganzen Welt setzen, gebaut wurde der „Home Dome“ am Ende lediglich für ein paar Freunde und das Ehepaar Fuller selbst.

Tatsächlich durchzieht das schnelle Umschlagen von Depression in Zukunftseuphorie Fullers gesamte Biographie und macht den Großteil des Mythos aus, der sich um seine Person aufgerichtet hat. Allein im Internet gibt es über 7.200 Homepages, auf denen Fuller-Jünger über den Fortschritt philosophieren, der mit der massenweisen Produktion seiner Kuppelbauten über die Menschheit hätte kommen können. Mal ist Fuller ein „sanfter Revolutionär“, der Natur und Technik versöhnt, dann wieder der versierte Kommunikationsstratege, dessen Gebäude das World Wide Web vorweggenommen haben – Hauptsache, der Kult lebt weiter.

Dabei gehört doch auch das ganz reale Scheitern zur Natur des Menschen, die man nur verändern kann, indem man sich ihr fügt. So jedenfalls lautet eine erste Erkenntnis des jungen Fuller: „Don't fight forces, use them“ – eine Übung für Jedi-Ritter. Später wird er als Lehrer am Black Mountain College 1948 mit John Cage und Merce Cunningham ein Ballett nach der Musik von Erik Satie aufführen, während er in der gleichen Zeit mit dem „Necklace Dome“ ein Kuppelzelt für Polar-Einsätze der Marines entwickelt.

Noch einmal 20 Jahre danach darf er 1967 für die U.S. Information Agency sein größtes Projekt, einen 60 Meter hohen geodäsischen Dome-Pavillon zur Weltausstellung in Montreal, bauen. Für den Hipness-Faktor sorgt dagegen eine Open-air-Veranstaltung vor begeisterten Studenten in San Francisco, bei der Fuller den Vietnamkrieg und überhaupt Amerikas Verschwendung von Ressourcen beklagt.

Politisch läßt er sich dennoch nie festlegen: Die „US Medal for Freedom“, die Fuller 1982 von Ronald Reagan entgegennahm, wurde in Zeiten des SDI-Programms sogar als Sieg der Alternativbewegung verbucht. Mittlerweile werden seine Entwürfe jedoch tatsächlich in einem sozialen Rahmen umgesetzt. Seit 1993 arbeitet man in Los Angeles an einer Obdachlosensiedlung, für die sich Fullers Domes offenbar kostengünstig produzieren lassen. Wenn das Modell sich durchsetzt, werden demnächst auch „Dome Villages“ in Miami Beach, San Francisco, Oakland und Berkeley gebaut. Vielleicht wird doch noch etwas aus dem Traum einer fullerisierten Welt – irgendwann im nächsten Jahrtausend. Bis 19. 9. Museum für Gestaltung, Zürich. Der Katalog (ein Buch über Fullers Schriften ist in Arbeit) kostet 59 Sfr.

Jeder Entwurf Fullers schafft nicht bloß Verbesserung, sondern Aufhebung der Wirklichkeit

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