: Nur Sommerloch-Schlägerei
■ Während das Land Marzahn-Nord als gefährdeten Problembezirk einstuft, will Jugendstadtrat die rechte Gewalt vor Ort nicht sehen
Am vergangenen Wochenende knallte es. Etwa 25 rußlanddeutsche Jugendliche in Marzahn-Nord überfielen eine etwa gleichgroße Gruppe von Skinheads. Knapp eine Stunde später verhinderte ein großangelegter Polizeieinsatz die Revanche der Skinheads, die sich zwischenzeitig Unterstützung von der Kameradschaft Marzahn geholt hatten. 11 Jugendliche aus beiden Gruppen wurden vorläufig festgenommen und insgesamt 15 Strafanzeigen wegen Landfriedensbruchs, Körperverletzung und weiterer Delikte aufgenommen.
Der Vorfall ist nur der Höhepunkt schwelender Auseinandersetzungen zwischen Aussiedlern und rechten Jugendlichen in dem problembehafteten Marzahner Norden, versichert ein Streetworker der taz. „Für die Rechten sind die Aussiedler Ausländer, denen sie die Sozialhilfe nicht gönnen.“ Das Argument, daß sie Deutsche seien, zöge nicht. „Dann kommt regelmäßig die Antwort, man werde nicht zum Deutschen, weil man mal neben einem deutschen Schäferhund gestanden hat.“
Daß mehr Auseinandersetzungen in der letzten Zeit ausgeblieben seien, so der Streetworker, läge daran, daß beide Gruppen zahlenmäßig enorm angewachsen sind und wissen, Gewalt bringe Gegengewalt.
Während die Probleme augenscheinlich auf der Straße liegen, sieht man diese im Bezirksamt nicht. „Von rechten Jugendlichen in Marzahn erfahre ich nur aus der Zeitung“, kontert der Jugendstadtrat des Bezirksamts, Wolfgang Kieke, eine Anfrage der taz nach der Massenschlägerei. „Bei mir im Amt ist noch keiner vorbeigekommen.“ Für Kieke, der im vergangenen Jahr aus der PDS ausgetreten ist und jetzt dem Marzahner PDS-Ableger Linke Demokratische Liste angehört, hat die Massenschlägerei einen einfachen Grund: die Sommerferien. „Regelmäßig einmal im Jahr gibt es in Marzahn eine große Auseinandersetzung zwischen Aussiedlern und Einheimischen. Die werden während der Ferien ausgetragen, wo Jugendliche viel Zeit haben.“
Laut Kieke sei ein Gewaltproblem in Marzahn ein Problem der öffentlichen Wahrnehmung. In seinem Bezirk lebten nun einmal sehr viele Jugendliche, da gäbe es mehr Vorfälle. Buchhalterisch genau zählt Kieke auf, welcher Geburtsjahrgang in Marzahn wie stark vertreten ist.
Anders als Kieke hat der Senat in Marzahn-Nord eine Ballung sozialer Probleme ausgemacht. Als einen der wenigen Ost-Kieze stufte die Landesregierung Marzahn-Nord als gefährdetes Gebiet ein und stellt seit kurzem einen Quartiermanager zur Verfügung.
Auch rechte Orientierungen von Jugendlichen sind laut Kieke kein Bezirksspezifikum. Es gäbe in Marzahn nicht mehr Rechte als etwa im Wedding, erklärt er. „Da werden durch Eltern, Medien, Schule und gruppendynamische Prozesse die Grundlagen gelegt.“ Als Jugendstadtrat könne er darauf keinen Einfluß nehmen.
„Platzverweise aus Jugendclubs gehen nicht, weil das öffentliche Clubs sind. Und Diskussionen in Volkshochschulen oder unseren Musikschulangeboten verschließen sich diesen Jugendlichen“, erklärt der Kommunalpolitiker.
Kiekes ehemalige Genossin Margrit Barth, die in dem Problemkiez Marzahn-Nord wohnt und das Direktmandat innehat, kritisiert die Position des Jugendstadtrates. „Er hat öffensichtlich ein Wahrnehmungsproblem. Polizeieinsätze gegen gewalttätige Rechte finden etwa im Wochenrhythmus statt.“ Barth kann kein Konzept des Jugendamtes für den Kiez erkennen. Offene Freizeitangebote für Aussiedlerjugendliche gebe es nur in der weit entfernten Kirchengemeinde, nicht aber dort, wo Aussiedler konzentriert wohnen.
Vor einem Jahr verursachte Kieke schon mal einen Eklat: Er hatte der NPD für eine Veranstaltung im Bundestagswahlkampf das Marzahner Freizeitforum, den größten Saal im Bezirk, zugesagt. Erst ein Votum der BVV hatte die Zusage rückgängig gemacht. Ein Abwahlantrag war gescheitert, weil die Zweidrittelmehrheit nicht zustande kam: Die CDU hatte Kieke die Treue gehalten.
Marina Mai
„Von rechten Jugendlichen in Marzahn erfahre ich aus der Zeitung“, wiegelt Jugendstadtrat Wolfgang Kieke ab
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