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„Männer verschenken sich was“

■ Bremer Arbeitszeitforscher im taz-Gespräch über protestantische Arbeitsmoral – und darüber, was der deutsche Vollzeitmann verpasst

Dem Arbeitszeitforscher Heiner Stück geraten die Männer immer wieder in die Quere – als weitgehend innovationsresistente Spezies: An Arbeitszeitmodellen sind sie kaum interessiert, viele machen jede Menge Überstunden – und das oft sogar unbezahlt und ohne Aussicht auf Aufstieg. Das jedenfalls ergab seine jüngste Studie. Wie der Mensch Heiner Stück über die Ergebnisse seiner Forschung nachdenkt, verriet er der taz .

taz: Wenn Sie über die Ergebnisse Ihrer Forschungen zum Thema Arbeitszeitwünsche sprechen, klingt Ärger mit. Woher kommt der?

Heiner Stück: Wir hatten in den achtziger Jahren eine breite Diskussion über die neue Verteilung der Arbeit – zugunsten der Arbeitslosen und der Gerechtigkeit der Geschlechter. Aber daraus hat sich so gut wie nichts ergeben. Es gibt zwar bei den jüngeren männlichen Angestellten eher eine Neigung in Richtung einer gleichmäßigen Verteilung als bei den Älteren. Aber insgesamt werden solche Ansätze immer wieder abgeblockt. Sie widersprechen der männlichen Arbeitskultur und der protestantischen Arbeitsethik. Es scheint zum männlichen Arbeitsethos zu gehören, die ganze Leistungsbereitschaft ausschließlich dem Betrieb zur Verfügung zu stellen und das ständig zu demonstrieren. Status, Karriere und Selbstwertgefühl sind offensichtlich ans Einkommen gebunden.

Was aber nicht Ihren persönlichen Erfahrungen als beruftätiger Mann entspricht?

Ja. Diese Männer verschenken sich was. Ich habe beispielsweise im ersten Lebensjahr meiner beiden Söhne die Arbeitszeit auf vier Fünftel reduziert, und dafür im Block Freitag, Samstag und Sonntag mit der Familie verbracht. Da konnte ich sehr intensiv die Entwicklung meiner Kleinen verfolgen und habe viel Neues gelernt und eine Bindung zu meinen Söhnen aufgebaut. Wenn meine Frau demnächst eine vier-Fünftel-Stelle als Lehrerin in Niedersachsen bekommt, will ich wieder reduzieren. Da ich die Fünfundfünfzig schon überschritten habe, will ich versuchen, das famose Angebot einer subventionierten Altersteilzeit anzunehmen. Ich hätte dann halbe Arbeitszeit und so etwa 85 Prozent des Nettoeinkommens.

Was versprechen Sie sich davon?

Ich bin schon 30 Jahre berufstätig, später Vater von zwei Kindern, die heute 10 und 12 Jahre alt sind. Meine Frau ist Mitte 40, die will jetzt in den Beruf einsteigen. Die Zeit ihres Referendariats war sehr anstrengend, auch für unsere Beziehung, der Haushalt geriet aus den Fugen. Diese Erfahrung wollen wir nicht wieder machen.

Was läuft bei Ihnen anders als bei anderen männlichen Angestellten, die ohne Entgelt und Aufstiegs-Chancen unbezahlte Überstunden machen.

Ich weiß es nicht genau. Vielleicht ist ein Unterschied, dass ich mich bewußt und relativ spät zur Familiengründung entschieden habe. Davor habe ich mich im Wissenschaftssystem – wie viele Männer auch – regelrecht verausgabt und bin dabei an meine Grenzen gegangen. Da habe ich aber auch festgestellt, dass die Anerkennung im Wissenschaftssystem nicht der einzige Maßstab im Leben sein kann, sondern dass es neben Status und Geld eben auch Liebe gibt.

Arbeitet man in Teilzeit anders?

Ich habe die Erfahrung einer Vier-Tage-Woche ja zweimal gemacht und hatte immer den Eindruck, dass der Block, aus drei freien Tagen am Wochenende, einen Sprung zur Qualität birgt. Man hat dann schon fast die Kalenderwoche halbiert. Viele Probleme waren richtig weg und ich hatte meine eigenständige andere Welt. Das hat aber auch viel Kraft gegeben, die ich dann wieder ins Arbeitsleben einbringen konnte. Ich habe aber auch meine Arbeitszeit verdichtet – und mit Kollegen beispielsweise weniger Klönschnack gehalten.

Wird das unter Kollegen honoriert – oder wie reagieren die?

Das ist sehr verschieden. Wer Donnerstag Abend geht und den Kollegen ein schönes Wochenende wünscht, setzt sich natürlich etwas ab und verletzt Pflicht und Moral, sich immer bereit zu halten für den Betrieb. Das ist in der Angestelltenkammer weniger das Thema – in einem Industriebetrieb wäre so etwas aber wohl so gut wie gar nicht möglich. Da herrschen die traditionellen männlichen Normen der totalen Verausgabung.

An deren Aufrechterhaltung Männer sich offenbar auch im Angestelltenmilieu fröhlich beteiligen, wenn man Ihren Forschungsergebnissen traut.

Ja, ich weiß auch nicht recht, wie man das aufbrechen kann. Das ist sehr tief eingebaut. Man muß aber auch das Komplement der Frauen sehen. Ich habe gerade ein Gespäch mit einem Sozialpädagogen gehabt, der – nach seiner Frau – jetzt gerne das dritte Jahr Erziehungsurlaub nehmen würde, vielleicht auch, um für sich ein bisschen heile Welt mit seiner kleinen Tochter zu erleben. Er arbeitet sonst in einem schwierigen Umfeld. Würde er Erziehungsurlaub beantragen, würde er zu den 1,4 Prozent Männern gehören, die das überhaupt in Anspruch nehmen.

Wer muss dafür sorgen, dass bei der gesellschaftlichen Umorientierung – hin zur Verteilung von Arbeit – mehr geschieht? Weiterhin einzelne, experimentierfreudige Menschen?

Das wäre schade. Ich blicke immer ein bisschen auf Holland, weil sich dort ja in Folge hoher Arbeitslosigkeit das Verhältnis Berufsleben – Familienarbeit bei Frauen und Männern verschoben hat. Da sind schon 17 Prozent der männlichen Beschäftigten und 67 Prozent der Frauen in Teilzeitarbeit. Frauen, die dort viel weniger berufstätig waren als in Deutschland, sind mittlerweile über das Bündnis für Arbeit ins Berufsleben eingestiegen. Das war fast eine Kulturrevolution. Zu Zeiten als hier Bundeskanzler Kohl kam und lange blieb, haben sich dort neue Geschlechterverträge entwickelt – weg von der klassischen Versorgerehe hin zur modernen Doppelversorger-Ehe, in der sich beide Berufs- und Familienarbeit teilen.

Was haben die HolländerInnen, was wir nicht haben?

Vielleicht sind die Holländer lebensfroher als die Deutschen und weniger an protestantische Ar-beitsmoral gebunden. Vielleicht ist sowas in einem kleinen Land, in dem zudem eine Konsens-Kultur besteht, die auf Verständigung und Ausgleich von Interessen ausgerichtet ist, aber auch leichter. Ich beobachte dort Leute, die nicht übermäßig reich sind, beispielsweise Krankenschwester und Binnenschiffer mit drei Kindern, die ganz innovative Muster praktizieren. Es scheint als ob Holländer eher arbeiten um zu leben. Bei vielen Deutschen ist das wohl noch umgekehrt. Fragen: Eva Rhode

„Im Wandel der Zeit“ von Heiner Stück, Hrsg. Angestelltenkammer, VSA-Verlag Hamburg

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