: Merkwürdig bekannte Spießer-Logik
■ Ernste Kinderspiele: Heiner Müllers „Drachenoper“ im Acud-Open-Air-Theater
Im so genannten Sommerloch wird alles einfacher. Die Konkurrenz der urlaubenden großen Häuser und Ensembles fällt flach, das Publikum ist sonnig beschwipst und der freie Nachthimmel die schönste aller denkbaren Theaterdecken. Wer jetzt inszeniert, kann beinah tun und lassen, was er will.
Trotzdem neigt das Open-Air-Theater sommers gern zu seltsamen Animations-Dramaturgien, grade so, als böten Schwimmbäder und Biergärten nicht genug der quasitouristischen Lustbarkeiten.
Das ungarisch-deutsche Zygmont-Wolski-Theater dagegen versucht es im Hinterhof des Acud schlicht mit dem „Ernst des Kinderspiels“. Den schätzte bekanntlich Heiner Müller, der Verfasser des von Felix Goldmann inszenierten Libretto „Drachenoper“ (1968): Der Märchenstoff von Jewgeni Schwarz, den Müller für eine Paul-Dessau-Oper umschrieb, maskiert nur halbherzig dessen politisch-didaktischen Ballast. Goldmanns amüsierter Blick auf den Text wiederum ist postideologisch gefärbt. Bevor die schönen Gesetzmäßigkeiten von Macht und Geschichte die Wiederkehr des immer Gleichen bedeuten, müssen sie erst zerbröseln, sich verhaken und vor allem mehr Komik als Tragik enthüllen.
Seit Steinzeiten wird die Stadt vom diktatorischen Drachen (Eckhard Müller) beherrscht. Doch weil alles eine Frage des Arrangements ist, wird das Zwangssystem von den Bewohnern brav als „freiheitliche Demokratie“ abgenickt. Anlass zum Aufmucken haben bloß die Erniedrigten und Beleidigten: Jungfrau Elsa (Cecilia Hajós), die dem Drachen rituell geopfert werden muss, und der arbeitslos umherziehende Drachentöter Lanzelot (Otto Viczián). Gemeinsam mit der Katze (Emese Varro) formieren sie sich zum Widerstand, hintertreiben die devote Politik von Bürgermeister (Peter-Mario Grau) und Sohn Heinrich und besiegen den Drachen. So bei Müller, wo prompt Konterrevolution folgt. Anders bei der Wolski-Truppe, die das bloß Angedeutete, gleichsam als Kommentar zu Müller, derb überzeichnet: Die Sekretärin (Renée Figueroa) verabscheut zwar Zigeuner, träumt aber von Che Guevara, und die blondbeherzte Elsa heißt wahrscheinlich im richtigen Leben Gretchen.
Der sympathische Dichter-Drache schmatzt im Ledermantel Zigarren; sein Kontrahent, ein schicker Wohlstands-Loser, verfällt noch vor dem Kampf in Amnesie, aus der heraus er nur noch „Mama!“ brüllen kann. Während beide demontierten Helden sich am Ende auf ein Versöhnungsbier verdrücken, kopuliert und zankt sich die Bevölkerung in den Schlussapplaus, denn „für die Freiheit ist sie nicht geschaffen“. Trotzdem gerät die Inszenierung dort am stärksten, wo sie nicht ratz, fatz nach politischer Pointe und Freudschen Kalauern greift, sondern das schräg Gedehnte, schrill Verlangsamte sucht.
Dann nämlich wachsen die ungarischen, deutschen und chilenischen Schauspieler übers leidlich ambitionierte Off-Lustspielen hinaus, und wie durch ein Froschauge blickt man plötzlich auf einen geblähten grauen Kasten, in dem verquere Spießer nach einer merkwürdig bekannten Logik handeln und deren Absurdität grell ans milde Abendlicht zerren.
Eva Behrendt ‚/B‘ Tägl. (außer Mo.) 20.30 Uhr, Acud,Veteranenstr. 21
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