Ein versponnenes Genie als Retter der Serben

■ Der 82jährige Wirtschaftsexperte Dragoslav Avramovic soll die Opposition einen und einer Übergangsregierung vorstehen. Gesundheitsprobleme könnten den Plan vereiteln

Der „Superopa“ ist wieder da! In Dragoslav Avramovic, 82, hat die „Allianz für den Wandel“ die herausragende Persönlichkeit gefunden, um deren greises, weißes Haupt sich die sprichwörtlich verzankte serbische Opposition im Kampf gegen das Regime scharen kann. Avramovic soll an der Spitze einer aus Experten zusammengesetzten Übergangsregierung stehen, die die Aussetzung internationaler Sanktionen gegen Jugoslawien erreichen, demokratische Wahlen in Serbien ausschreiben und Montenegro überzeugen soll, nicht aus der Föderation mit Serbien auszutreten.

Die Voraussetzung dafür sei aber, wie Avramovic selbst sagt, dass der wegen Kriegsverbrechen vor dem UN-Tribunal in den Haag angeklagte jugoslawische Präsident Slobodan Miloševic sein Amt aufgibt.

Avramovic hat seine große Popularität der Tatsache zu verdanken, dass er die rasende Inflation 1993 aufhalten konnte, indem er den Dinar an die D-Mark koppelte. Außerdem trägt er nie eine Krawatte, man kann ihn auf der Straße nicht von einem serbischen Durchschnittsrentner unterscheiden. Er kann so reden, wie dem Volk der Schnabel gewachsen ist, und beruft sich bei der Erörterung komplizierter finanzieller Probleme stets auf seine Frau und ihre Erfahrungen auf dem Bauernmarkt.

Neulich bemerkte er, sie würde mindestens drei Tage lang nicht mit ihm sprechen, wenn er den Posten des Ministerspräsidenten annehme, weil das für seine Gesundheit schädlich sei.

Wie einer seiner ehemaligen Berufskollegen berichtet, war Avramovic in der Weltbank als „ideensprühender Spinner und Genie“ aufgefallen. Seinem damaligen Chef, dem späteren US-Verteidigungsminister McNamara, gefiel das nicht, und er feuerte ihn. Danach war Avramovic Berater in der von Willy Brandt gegründeten Nord-Süd-Kommission der Sozialistischen Internationale, wo er sich für die Hilfe von reichen Staaten für Entwicklungsländer einsetzte. Er fand aber auch Zeit, für Indonesiens Ex-Staatschef Suharto als finanzieller Ratgeber zu arbeiten.

Einige seiner Fans äußern jedoch die Befürchtung, der nierenkranke Wirtschaftsexperte könnte es sich im letzten Moment anders überlegen. Es wäre nicht das erste Mal. Schon vor etwa zwei Jahren hatte er die Opposition schwer enttäuscht und im Stich gelassen. Er ließ sich damals als Spitzenkandidat der Wahlkoalition Zajedno (Gemeinsam) für das Bundesparlament aufstellen, zog jedoch sein Einverständnis zurück. Da war es schon zu spät, einen anderen, starken Kandidaten zu finden. Bis heute sind seine Gründe unklar.

Die einen sagen, Miloševic hätte etwas gegen ihn in der Hand, die anderen, er hätte gesundheitliche Bedenken gehabt.

Jedenfalls kann die serbische Opposition im Moment keinen besseren und beliebteren Frontmann finden. Niemand zweifelt daran, dass er es ehrlich meint, denn immerhin könnte er sich mit der hohen Rente eines Weltbank-Ökonomen auch einfach in seine Villa am Genfer See zurückziehen. Avramovic hat sich scheinbar jedoch entschieden, sich noch einmal als Retter Serbiens und Jugoslawiens zu versuchen.

Andrej Ivanji, Belgrad