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Türkischer Chef: „Optimal betreut“

■ Rund 2.000 Azubis lernen bundesweit bei ausländischen Arbeitgebern

Jessica Schwerendt tüftelt für ihr Leben gern. In der Bremer Werbeagentur „Schriftwerkstatt“ wird die 19jährige zur „Mediengestalterin für Digital- und Printmedien“ ausgebildet. Ihr Chef Orhan Cakir ist Türke. Wie Jessica Schwerendt machen bundesweit etwa 2.000 junge Menschen eine Lehre bei einem ausländischen Arbeitgeber. „Da gibt es ein bedeutendes Potenzial an Ausbildungsplätzen“, sagt Andreas Goldberg vom zuständigen Zentrum für Türkeistudien in Essen.

Als Schwerendt vor einem Jahr ihre Ausbildung begann, schloss ihr neuer Chef seine Fortbildung bei der Bremer „Beratungsstelle zur Qualifizierung ausländischer Nachwuchskräfte“ gerade ab. „Junge Menschen haben frische Ideen und sind unbefangener“, beschreibt der türkische Firmeninhaber seine Motivation, für das Ausbilder-Seminar noch einmal die Schulbank zu drücken.

Nach Seminaren in Pädagogik, Recht und Psychologie hielt Cakir nach einem halben Jahr sein Ausbilder-Zertifikat in den Händen. Die neue Aufgabe ist für ihn eine Herausforderung: „Ich bilde gerne aus, weil ich davon selbst profitiere.“ Gelernt hat er schon vorher viel. In der Türkei arbeitete er als Schriftenmaler und studierte Publizistik. Bevor er in Deutschland den Sprung in die Selbstständigkeit wagte, brachte er Ausländern Deutsch bei.

Mit seiner „handwerklich begabten“ Auszubildenden ist er rundum zufrieden. Kein Wunder: Der jungen Frau macht die vielseitige Arbeit in der Werbeagentur großen Spaß. „Mit meinem Chef verstehe ich mich super“, erklärt die begeisterte Bastlerin, die sich in der kleinen Firma „optimal betreut“ fühlt. Ihrem Ausbilder kann sie sogar noch deutsche Fachausdrücke beibringen, die sie wiederum in der Berufsschule, die sie im Rahmen der Ausbildung besucht, kennen lernt.

„Mit der Initiative, in ausländischen Betrieben Ausbildungsplätze zu schaffen, beackern wir brachliegendes Land“, sagt der Sprecher der Beratungsstelle Qualifizierung ausländischer Nachwuchskräfte, Ahmet Can. Nach Angaben des Bundesbildungsministeriums bilden nur zehn Prozent der türkischen Betriebe aus, die dafür in Frage kämen. Bundesweit gibt es etwa 50 Initiativen wie die Bremer Beratungsstelle, die an dieser Situation etwas ändern wollen. Sie informieren potenzielle ausländische Ausbilder über ihre Möglichkeiten, betreiben zudem Öffentlichkeitsarbeit und leisten dabei auch politische Lobbyarbeit.

„Ausländische Arbeitgeber bekämpfen die Jugendarbeitslosigkeit und können ihren Bedarf an qualifiziertem Personal durch eigene Mitarbeiter befriedigen“, zählt Andreas Goldberg nur einige der positiven Effekte auf. Langfristig ließen sich bis zu 10.000 Lehrstellen in ausländischen Firmen schaffen. Orhan Cakir ist sich sicher: auch wenn ihn das Ausbilden Zeit und manchmal Nerven kostet, ist Jessica Schwerendt nicht die letzte Auszubildende in seiner „Schriftwerkstatt“. epd

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