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„Hamse nich was aus Worpswede?“

■ Die Städtische Galerie zeigt ab Sonntag „Schätze und Schätzchen“ aus der Sammlung der Graphothek und erzählt damit von einer zu Ende gegangenen Epoche, in der auch die bildende Kunst mehr Demokratie wagen wollte

Gerd-Peter Patz macht einen Seufzer. „Es fällt mir nicht leicht, das hier alles zu sehen“, sagt der Bibliothekar. 23 – in Worten: dreiundzwanzig – Jahre lang war er der Herrscher über die Graphothek, die im Lauf der Jahre zu Bremens bedeutendster Sammlung von Graphik seit 1960 angewachsen war. Seit der einstweiligen Schließung der Kunstausleihe in der Weserburg vor zwei Jahren macht er „nur“ in Kunstbüchern in der Zentralbibliothek am Schüsselkorb. Und „nur“ als Besucher darf er jetzt all die in über zwei Jahrzehnten zusammengekauften Siebdrucke, Radierungen, Collagen, Fotos und wer weiß, was noch, in einer Ausstellung sehen. Unter dem Titel „Schätze und Schätzchen aus der Sammlung“ beschert die Städtische Galerie Herrn Patz wehmütige Gefühle und dem Rest der Menschheit eine eigenartige Entzückung.

Kein oder kaum ein Rückblick auf die Geschichte dieser Stadt kommt ohne eine politische Komponente daher. Da bilden die „Schätze und Schätzchen“ keine Ausnahme. Wanderer, gehst du durch die Städtische Galerie, dann siehst du nämlich Anfang und Ende einer Epoche. Während – sagen wir mal – im andalusischen Cadìz die bröckelnden Fassaden von einstigem Reichtum dieser Stadt künden, sind es in diesem Abschnitt der Bremer Geschichte Graphiken und Fotografien von Stella, Broodthaers, Christo, Lichtenstein, Beuys und ungezählten anderen KünstlerInnen. Die Geschichte dieser Epoche begann, als die Kunst demokratisch werden sollte. Und sie endete, als der Senat die Ankaufsmittel kürzte und zugleich immer mehr KünstlerInnen von Demokratisierung nichts mehr wissen wollten.

„Die Gründung der Graphothek 1975 gehört zum Programm ,Kunst im öffentlichen Raum'“, sagt der Leiter der Städtischen Galerie, Hans-Joachim Manske, und hat damit schon die Lieblingsstichworte für eine seiner bissigen, witzigen, selbstkritischen und doch nicht Seufzer-freien Exkursionen in die jüngere Bremer Kunst-Polit-Geschichte beisammen. Zur Erinnerung zitiert er Claes Oldenburgs längst museumsfähig gewordenen Satz „Ich mag keine Kunst, die im Museum auf ihrem Arsch sitzt“. Und er ergänzt: „Es gab doch damals keine Kunstszene in dieser Stadt. Bremen war völlig abgekoppelt.“ Deshalb hat das, was Manske, Patz und Co. seit Mitte der 70er Jahre veranstalteten, auch etwas mit Generationenkonflikten zu tun.

Manske ließ als Verantwortlicher für das Projekt „Kunst im Öffentlichen Raum“ in europaweit einzigartiger Konsequenz die Stadt nach und nach mit Bunkerbildern bemalen und mit rostigen Skulpturen vollstellen und machte sich damit nicht wenige Feinde. Und Patz vergrätzte in seiner Graphothek jene Kundschaft, die am liebsten Aquarelle und die am besten aus Worpswede ausleihen wollte. Doch Bremens öffentlich bedienstete Kunstkäufer machten mit Ausnahme von Fotokunst-Klassikern wie von Zille oder von Man Ray einen Schnitt: Es sollte aktuelle Kunst sein, die mit anfangs 100.000 Mark pro Jahr, dann für etwa 60 bis 70.000 Mark zur Hälfte in der Region, zur Hälfte in der ganzen Kunstwelt für die Graphothek eingekauft wurde.

Das Herzstück der Sammlung sind serielle Werke in kleineren Auflagen, also im Schwerpunkt Siebdrucke. Werke des Polit-Plakatkünstlers Klaus Staeck wurden übrigens erst nach längeren Streitereien in der Jury eingekauft. Seine Plakate sind Offset-Drucke, also Massenware und nicht Original genug. Aber eine Bremer Sammlung ohne Staeck war so undenkbar wie eine bayerische Schule ohne Kruzifix – also ist Staeck gut vertreten. Besonders stolz sind die Einkäufer von damals aber noch heute auf ihre Hamiltons. Ein Druck aus der Mick-Jagger-Serie hat damals pro Stück um die 3.500 Mark gekostet. Heute sind sie ein Vielfaches wert und auch um ein Vielfaches interessanter als Staecks unfreiwillig komische erhobene Zeigefinger.

Aber: „Es kommen noch immer Leute, die nach Aquarellen fragen“, sagt Karola Werner, die jetzt für die Graphothek verantwortlich ist und peu à peu an die alten Zeiten mit bis zu 10.000 Entleihungen pro Jahr anknüpfen will. Doch weil kaum mehr etwas Neues dazu kommt, werden die „Antiworpsweder“ von einst in naher Zukunft auch „Worpsweder“ sein. Die Pop Art, die anfangs keiner haben wollte, wird inzwischen jedenfalls sehr häufig ausgeliehen. Mit 60 Mark pro Jahr sind Benutzer übrigens dabei, Firmen zahlen 240 Mark.

Frei nach Gusto haben die Kunsthistorikerin Kathrin Hager und die Bildhauerin Stefanie Supplieth für die Zusammenstellung der „Schätze und Schätzchen“ in der 3.500 bis 4.000 Objekte zählenden Sammlung gesucht. Und sie waren beim Finden selbst überrascht über die Qualität. Sozusagen in Petersburger Hängung haben die Beiden die „Schätze“ grob nach Konkreter Kunst, Pop Art, Fotografie, Positionen der 80er Jahre und anderen Gruppen sortiert. Und ganz selbstverständlich hängen dabei Werke von KünstlerInnen aus der Region neben Arbeiten internationaler Stars. Denn mittlerweile gibt es eine Kunstszene in Bremen, die nicht mehr von der Welt abgekoppelt ist. ck

Bis 29. August in der Städtischen Galerie, Buntentorsteinweg 112; Eröffnung am Sonntag, 8. August, ab 10.30 Uhr; ab 11 Uhr Live-Übertragung der RB-Sendung „Bremen 2000“; Graphothek im Internet mit Bilderverzeichnissen und Texten: www.graphothek.bremen.de (Java muss aktiviert sein)

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