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Versicherer entschädigen zögerlich

Allianz und andere Profiteure der während des Nationalsozialismus einbehaltenen Versicherungspolicen erkennen Entschädigungsfaktor nicht an    ■ Von Christian Semler

Berlin (taz) – Nicht nur die Verhandlungen zur Entschädigung der Zwangsarbeiter im Zweiten Weltkrieg kommen nicht von der Stelle. Es stocken auch die Bemühungen, den Inhabern von einbehaltenen Versicherungspolicen, die vor 1939 abgeschlossen wurden, zu einer Entschädigung im heutigen Geldwert zu verhelfen.

Vor genau einem Jahr hatten sich fünf europäische Versicherungskonzerne, darunter die Allianz, verpflichtet, eine Kommission einzusetzen, um die Bücher der Versicherungen zu durchforsten, Ansprüche festzustellen und den Modus für Entschädigungen festzulegen. Das war ein spätes Bekenntnis zur Verantwortung der Allianz, hatte sie doch zu den Hauptprofiteuren der „Arisierung“ gehört und sich bis dahin geweigert, irgendwelche Entschädigungsansprüche anzuerkennen. Nach ihrer Argumentation hatte das Deutsche Reich sich den Geldwert aller Policen angeeignet, was allerdings historisch stets umstritten blieb.

In der 1998 eingerichteten Kommission sitzen Vertreter der Versicherungskonzerne, der jüdischen Opferverbände sowie ein amerikanischer Vermittler.

Jetzt hat diese Kommission entschieden, dass der heutige Wert der Policen das Zehnfache der damaligen Versicherungssumme betragen sollte – eine Relation, die sich aus dem Vergleich der Kaufkraft der Reichsmark vor Kriegsbeginn zur heutigen Kaufkraft der D-Mark ableitet. Mit dem Faktor 10 war schon im Bericht der Bergier-Kommission zu den Goldkäufen Schweizer Banken im Zweiten Weltkrieg gearbeitet worden.

Der Vorschlag des Kommissionsvorsitzenden Lawrence Eagleburger ist bei den Versicherungen auf wenig Gegenliebe gestoßen. Umstritten sind offensichtlich die Kriterien für die Festlegung des Kaufkraftfaktors, wobei der Konsumentenpreis-Index (cip) und die Verzinsung langfristiger Regierungsanleihen als Bemessungsgrundlage sich teils gegenüberstehen, teils kombiniert werden. Ein mit der Materie befasster Sprecher der Allianz erklärte gegenüber der taz, eine rasche, einvernehmliche Regelung läge im Interesse der Versicherungsunternehmen.

Diese Behauptung ist sogar glaubhaft, hängt doch die Expansion des Versicherungskonzerns in den USA von einer befriedigenden Regelung der Ansprüche jüdischer Versicherungsnehmer ab. Auch das Interesse der ehemaligen Versicherten an einem raschen, positiven Ende der Verhandlungen betonte der Allianzsprecher. Die Zahl der festgestellten Berechtigten ist allerdings bislang gering. Nur wenige derer, die Ansprüche angemeldet haben, können Versicherungspolicen von sich oder ihren Vorfahren nachweisen. Und auch das Archiv der Versicherten bei der Allianz, das nach Auskunft des Allianz-Sprechers in den dreißiger Jahren zuverlässig geführt wurde und vollständig erhalten ist, kann in den meisten Fällen keine Policen nachweisen.

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