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Still Crime in the City

■ In Wort und Bild: Im Lagerhaus verband der New Yorker Comic-Künstler Eric Drooker eindrucksvoll das Schöne der Kunst mit politischem Engagement

Auf der Leinwand sind zwei Skelette zu sehen, die kahlen Köpfe einander zugewandt. Aus den Lautsprechern ein dumpfer, langsamer Beat. Über dem einen Kopf ein Heiligenschein, der andere mit Hut und Zigarre. „They thought they had a bomb!“ So endet der Gesang, irgendwo zwischen Beat-Poetry und Rap. Es sind drastische, aber auch ausgesprochen schöne Bilder, die der 1958 in Manhattan geborene Eric Drooker bei seiner Dia-Show in einer Collage mit Sound und gesprochenem Wort inszenierte. Nicht als Avantgardist, eher wie ein (vielleicht doch: post-) moderner Geschichtenerzähler. In jedem Fall ist der Comic-Künstler Drooker einer der KulturaktivistInnen – begabt, engagiert und ziemlich selbstlos –, wie man sie heutzutage nicht eben häufig findet.

Dann folgt „Flood“, ein Roman in Bildern von 1995. Die lange, wortlose Eingangssequenz ist von prasselndem Regen untermalt. Ein Künstler strebt durch die verregnete Stadt seiner Wohnung zu, seinem Arbeitsplatz. Der Mann sitzt am Zeichenbrett. Ein Perspektivwechsel auf den Schauplatz einer scheinbar neuen Geschichte. „Draußen“ wieder Regen; der Wind trägt einen Typen mit Schirm fort. Plötzlich Kirmesmusik, ein Jahrmarkt. Der Mann gelangt schließlich durch einen dunklen Gang ins Kuriositätenkabinett. Er wird wieder in eine neue Geschichte hineingezogen, die mal eben die sogenannte Entdeckung der Neuen Welt illustriert. Oft erinnern die Zeichnungen an Holzschnitte. Die Stimmung ist düster, die Gesichter der Figuren ausdruckslos, gezeichnet von Gewalt und Armut.

Drooker stellt große Fragen. Sind Utopien noch möglich? Kann Popkultur subversiv sein? Wo steht der (autonome?) Künstler im globalisierten Kapitalismus? Und so weiter. Aber er stellt sie in Bildgeschichten und Streetpostern so dar, dass sie leicht lesbar sind. Auch ohne Marx und Poptheorie. Und ganz beiläufig. Etwa wenn ein Müllwerker knallorange Blumen aus einer Mülltonne fischt und sie seinem Kollegen überreicht. Oder wenn ein Comic-Eskimo dem resignierten „I'm tired of watching and warning“ ein „This is good!“ folgen lässt. Und schließlich, wenn er in „Flood“ einen Zeichner beim Zeichnen zeigt. Das erinnert an Art Spiegelman oder auch an Paul Austers „New York Trilogy“, und man könnte es wohl selbstreferentiell nennen.

Überhaupt finden sich haufenweise Bezugspunkte, inhaltlich wie ästhetisch. Von Barlach bis Tim Burton, von Buster Keaton bis Henry Rollins. Mindestens. Den Performancemix von Sound, Poetry und Bildern macht Drooker noch nicht so lange. Ob er durch Stummfilme inspiriert sei, frage ich ihn, und denke an Langs „Metropolis“ und Ähnliches. Ja, antwortet er und lächelt, da seien Charlie Chaplin oder das „Stoneface“. Vielleicht ein sehr amerikanischer Traum, im Komischen und Absurden nach der politischen Nadel im gewalttätig-kapitalistischen Heuhaufen zu fahnden.

Dann spricht Drooker frei, eine klassische Spoken-Word-Geschichte, nur illustriert. Geschickt blendet er Photographien von Demonstrationen an der Lower East Side in die Bilderfolge. Auf einem ist er selbst zu sehen. Wie Cops in voller Montur ihm die Kehle zudrücken, damit er zu singen aufhört. Dann folgen wieder Zeichnungen. Über die U-Haft. Drooker trennt Leben, Kunst und Politik nicht. Alles folgt der gleichen existenziellen Bewegung. Ein Bild aus „Flood“ zeigt den Künstler, in dessen Wohnung das Wasser bereits bis zur Decke steht, wie er abtaucht, die Feder in der Hand, zu seinem Zeichentisch und das letzte Bild beendet. Dabei präsentiert Drooker Bilder und Geschichten gänzlich unangestrengt und sichtlich (oder vielleicht besser: hörbar) gut gelaunt.

Vielleicht schenkt gerade darum das erfreulich zahlreiche Publikum ihm im dunklen Kioto-Saal für eine knappe Stunde eine Aufmerksamkeit, wie ich sie noch nie bei einem Diavortrag erlebt habe. Ein beeindrookender Abend.

Tim Schomacker

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