Dunkle Gedanken
: Ich gucke nicht hin!

■ Ein einsames Plädoyer gegen die heutige Sonnenfinsternishysterie

Allein das Wissen um die heute sich ereignende Sonnenfinsternis führt offenbar zu schweren Verbrennungen der Hirngrütze. Beweise? In der Stuttgarter Kantine von DaimlerChrysler werden „Schwarze Nudeln“ serviert, der Computerriese IBM lädt seine Mitarbeiter zur außerplanmäßigen Betriebsfeier mit „mystischen Elementen“ ein, im Münchener Olympiastadion werden Drachentänze und Sonnenbeschwörungen aus Ghana geboten. BILD fragt ihre LeserInnen: „Sex? Wer glüht im Bett?“. Zahllose WeltuntergangsprophetInnen decken sich mit Lebensmitteln ein oder bringen sich vor der vermuteten Springflut auf Berggipfeln in Sicherheit. Und in der jüngsten Ausgabe des „Spiegel“ tut der Heidelberger Astronom Jakob Staude kund, der Anblick der Sonnenfinsternis sei vergleichbar mit dem Erlebnis des eigenen Todes. Wohl gemerkt: Wir reden von dem Augenblick, wo der Mond sich für popelige 120 Sekunden vor die Sonne schiebt. Staude ist allerdings entschuldigt: Der arme Kerl hat bereits in den 60er Jahren eine Sonnenfinsternis erlebt, an deren Folgen er offenbar noch heute laboriert.

Sagen wir es durch die Rosette: Mir geht die Sonnenfinsternis am Arsch vorbei. Hamsterkäufe bleiben bei mir aus. Emotionale Hochgefühle, wie sie sich bei meiner nach München gereisten Kollegin angesichts dieses „einmaligen Ereignisses“ schon Tage zuvor eingestellt haben, werden mich nicht durchwallen.

Was wird schon groß passieren heute morgen? Tagsüber wird es für zwei Minuten dunkel. Na toll, haben wir ja noch nie gesehen, wie es dunkel wird auf der Erde. Die Temperatur sinkt um einige Grad. Großartig, darüber freut man sich im Sommer gewöhnlich ungemein. Und wenn man ohne Schutzbrille gen Himmel blickt, brutzelt es einem die Netzhaut weg. Zugegeben: Immerhin das verspricht originell zu werden.

Trotzdem: Ich werde heute um 12.32 Uhr nicht nach oben gucken und mich wie ein doofer, dummer, dämlicher Depp darüber freuen, dass ich nichts mehr sehen kann und mir 'ne Strickjacke überziehen muss. Und ich werde das tun mit der Gewißheit, dass ich sicherlich der einzige Bewohner dieses 80 Millionen Menschen zählenden Gemeinwesens sein werde, der die Sonnenfinsternis nicht gesehen hat. Einmal im meinem lausig gewöhnlichen Allerweltsleben bei irgendwas der Einzige gewesen zu sein – wow, schon jetzt ein erhabenes Gefühl. zott