„Mein Kampf“ durch die virtuelle Hintertür

Zwei US-amerikanische Buchhändler vertreiben Hitlers Buch übers Internet in Deutschland. Miteigentümer Bertelsmann übt vorsichtig Kritik. Freiwillige Selbstkontrolle: Die Belieferung ist illegal  ■   Von Michaela Kirschner

Berlin (taz) – Dürfen die Deutschen Adolf Hitlers „Mein Kampf“ im Original oder nur die kommentierte Fassung „Adolf Hitlers: Mein Kampf“ lesen? Diese Frage stellt sich seit gestern mit neuer Brisanz. Über die amerikanischen Online-Buchläden amazon.com und Barnesandnoble.com hatten deutsche Mitarbeiter des Jerusalemer Simon-Wiesenthal-Instituts Hitlers Propagandawerk per Versand bestellt und „inklusive weiter führender Buchtips“ (Süddeutsche) erhalten. In Deutschland dürfen nur Antiquariate die sogenannten „vorkonstitutionellen Ausgaben“ von „Mein Kampf“ verkaufen, Druck und Vertrieb von Neuauflagen sind verboten.

Doch die Deutschen kaufen ihre Bücher immer häufiger im Internet und geraten dadurch zunehmend in Gefahr, durch die Bestellung von pornographischen oder rechtsextremistischen Schriften Beihilfe zu einer Straftat zu leisten. Laut Heiko Wiese, Beauftragter der 1997 gegründeten Freiwilligen Selbstkontrolle Multimedia (FSM), sind aber im Fall von „Mein Kampf“ vorrangig diejenigen rechtlich zu belangen, die das Buch vertreiben. „Für Schriftstükke gelten die gleichen Einfuhrbestimmungen wie für alle anderen Produkte“, sagt er. „Wer ein Buch nach Deutschland liefert, muss sich zuvor über die dortigen gesetzlichen Bestimmungen informieren.“ Weil viele internationale Anbieter, vor allem Privatleute, dies ignorieren, gäbe es wegen der illegalen Einfuhr von pornographischen Schriften inzwischen unzählige Verfahren.

Nationalsozialistisches Gedankengut stellen überwiegend die Kanadier ins Netz, weiß Dr. Arthur Waldenberger, Vorsitzender der FSM. Dort sei die Verbreitung nicht verboten und es gebe leider auch keine freiwillige Selbstkontrolle wie in Deutschland. Obwohl sich internationale Anbieter übers Internet nach deutschem Recht zunehmend strafbar machen, sei die Diskussion, wie ihnen rechtlich beizukommen sei, gerade erst angelaufen.

Dies betont auch die Bertelsmann AG, die mit 40 Prozent Anteilen Gesellschafterin der US-Firma Barnesandnoble.com ist. In einer Stellungnahme zum Vertrieb von „Mein Kampf“ nach Deutschland heißt es, Bertelsmann habe kein „unmittelbares Weisungsrecht“ für die Entscheidungen der amerikanischen Firma. Sie habe jedoch den dortigen Chairman of the Board und ihre Mitgesellschafter auf die Gesetzeslage in Deutschland hingewiesen und sie gebeten, nationalsozialistische Propagandatitel in Zukunft nicht mehr nach Deutschland zu liefern.

Derweil rät Waldenberger den Deutschen, ihren Sonderweg bei der strafrechtlichen Verfolgung von Schriftstücken im Hinblick auf die Globalisierung des Marktes „zumindest einmal zu überdenken“. Er sei durchaus für Kontrollen, aber Deutschland müsse sich auch bewusst sein, dass es mit vielen Verboten oft allein dastünde und manche davon „nicht mehr ganz zeitgemäß“ seien.

Zur Gelassenheit hinsichtlich der Lust der Deutschen auf Propagandalektüre findet auch der zurück, der bei amazon.com die aktuelle deutsche Bestsellerliste abfragt. „Mein Kampf“ taucht hier nicht auf, dafür ein Buch, das dem naiven Wunderglauben der Menschheit nachspürt (Platz 1), ein Italien-Reiseführer (3), ein Modeführer für Männer (9) und ein Star-Wars-Dictionary (14).