: Das große Trau-schau-wem
In Roland Joffes Film „Goodbye Lover“ beklagen Ganoven erbittert die neue Unmoral: „Wir haben ihn umgebracht, aber sie kriegt das ganze Geld“ ■ Von Thomas Winkler
Moral, das erzählte das Kino schon in seinen frühesten Anfängen, ist nicht in festen Grenzen zu fassen. Andererseits: Ohne moralische Grenzen, an denen es sich abarbeiten könnte, gäbe es vielleicht gar kein Kino. Jedenfalls nicht dieses. Inzwischen ist das Kino so weit, dass es Moral oft nur noch behauptet. In Wirklichkeit aber geht es nur noch darum, sich nicht erwischen zu lassen. So auch in Roland Joffes „Goodbye Lover“. „Wir haben ihn umgebracht, wir haben die ganze Arbeit gemacht, aber sie kriegt das ganze Geld“, beschwert sich einer der betrogenen Betrüger und folgert: „Das ist unmoralisch.“
Solche Logik führt unweigerlich zu Fragen: Wer betrügt wen, wann und wozu? Und vor allem: Auf wessen österreichischem Nummernkonto landet am Schluss die ganze Knete? Denn es ist natürlich Geld, was die Charaktere antreibt, vier Millionen Dollar, um genau zu sein. Damit die zur Auszahlung gelangen, muss jemand vom Balkon fallen. Doch wer? Und wie? Und wer kriegt die Knete?
Das große Trau-schau-wem ist zwar als schwarze Komödie angelegt, wird aber von Joffe im Look des in letzter Zeit etwas aus der Mode geratenen erotischen Thrillers erzählt. Die Kamera bemüht sich um ungewöhnliche Blickwinkel, das Licht bleibt inmitten schwülstiger Dekors seltsam kalt oder muss sich gleich durch das verdunkelte Glas moderner Büropaläste quälen. Andernorts rollen Schweißtropfen in Großaufnahme nackte Haut hinunter.
In diesem Setting müht sich eine gut besetzte Schauspielerriege, ihren holzschnittartigen Rollen menschliche Züge abzugewinnen. Vor allem Patricia Arquette kämpft mit einer Mischung aus Naivität und Hinterlist gegen ihre platinblonde Perücke. Als Sandra wird sie mit grell geschminktem Schmollmund schnell als Femme fatale im Zentrum des intriganten Treibens installiert.
Es ist ein endloser Quell von Witzen, dass diese Sandra zwar ganz fix unliebsame Personen beseitigt, sich dazu aber mit auswendig gelernten Motivationspredigten vom Band und dem Soundtrack von „The Sound of Music“, der schwülstigen Verfilmung der Geschichte der Trapp-Familie aus dem Jahre 1964 mit Julie Andrews, einstimmen muss.
„Ich traue niemandem, der älter als zehn ist und ,The Sound Of Music‘ hört“, meint dazu die ermittelnde Kommissarin. Sie wird gespielt von Ellen DeGeneres, offen lesbische Autorin, Produzentin und Star von „Ellen“, eine Sitcom, die weniger bekannt ist als die Aufregung um ihre angeblich aus homophoben Gründen erfolgte Absetzung. Obwohl sie erst zur Mitte des Films auftaucht, übernimmt sie gleich den Laden: „Vielleicht war es ein Unfall“, meint ihr Assistent. „Ja, und das ist meine echte Haarfarbe“, sagt DeGeneres. Solche Kalauer werden in einem Film, dem Oberfläche alles ist, zu schlauen Dialogen.
Außer dem Assistenten, der als Karikatur eines naiven Mormonen der Lächerlichkeit preisgegeben wird, entpuppt sich jede der Figuren als zynisch und unehrlich. Das erinnert an den hierzulande völlig zu Unrecht gescheiterten „Wild Things“ von John McNaughton, mit dem Unterschied, dass dessen überraschende Wendungen noch überraschend waren. „Goodbye Lover“ dagegen will nicht so recht in Fahrt kommen. Er lässt einen zurück wie Fast Food: irgendwie unbefriedigt und mit der Ahnung, dass Rindfleischbuletten auch nach etwas schmecken könnten.
Vielleicht liegt es an den zahllosen Drehbuchdoktoren, die am Originaldrehbuch von Ron Peer gebastelt haben. Peer schrieb „Goodbye Lover“, als er noch in Phoenix für 10 Dollar die Stunde Computer reparierte und in seiner Freizeit Theaterstücke verfasste. Als er den fertigen Film zum ersten Mal sah, war er schockiert. „Jeder denkt, man ist ersetzbar“, fasst er seine Erfahrungen mit dem Filmgeschäft zusammen. Vielleicht gehts im gemütlichen Germany besser. Im September soll hierzulande der von ihm geschriebene „I Love You Baby“ mit Maximilian Schell ins Kino kommen, eine weitere deutsche Produktion mit einem Drehbuch von Peer ist in Arbeit. „Goodbye Lover“, Regie: Roland Joffe. Mit Patricia Arquette, Dermot Mulroney, Don Johnson, Ellen DeGeneres. USA 1998, 102 Min.
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