: Alle stehen unter Strom
■ Anbieter von Bio-Strom sprechen von Preis-Hysterie auf dem Markt
Es herrscht Goldgräberstimmung. Täglich werden neue Tabellen veröffentlicht, wie viel man wann sparen kann: Auf dem Hamburger Strommarkt wird heftig um die besten Plätze gerangelt. Mit allen Mitteln: Von Dumpingpreisen ist die Rede, von Wettbewerbsverzerrung ist die Rede, nur von grünem Strom aus erneuerbarer Energie ist im Moment überhaupt nicht die Rede. „Wir müssen einfach abwarten, bis die Leute wieder vernünftig werden und nachdenken“, sagt Martin Broziat, Geschäftsführer von Nordstrom in Flensburg.
Yello Strom aus Süddeutschland verkauft über den Otto-Versand, die Hamburger Hansestrom kalkuliert dreimal in der Woche ihre Preise neu, die Hamburgischen Electricitätswerke HEW locken plötzlich mit Single-Tarifen – aus Sicht der Anbieter von Bio-Strom ist das beinahe schon Hysterie, wie sich die Stromriesen da auf dem Markt untereinander versuchen zu unterbieten. „Es ist ein absolutes Hauen und Stechen der etablierten Konzerne um Marktanteile“, beobachtet Karl-Wilhelm Kühn von der Ökostrom Handels AG in Hamburg und staunt, „wieviel die allein in die Werbung stecken“.
Ein Hauen und Stechen, aus dem sich die alternativen Stromanbieter heraushalten und auf die Zukunft hoffen. „Im Moment sind wir relativ hilflos, und keiner hört uns zu“, bedauert Broziat. Scheinbar sei derzeit allein der Preis das Thema. Das werde wohl noch einige Wochen so bleiben, „aber irgendwann wird auch das Element Qualität bei den Leuten wieder eine Rolle spielen“. Broziat vergleicht: „Wenn die Leute Lebensmittel kaufen, haben sie das billige ungesunde Schweinefleisch auch eines Tages satt.“ Das billige Schweinefleisch auf dem Strommarkt kommt aus Atomkraftwerken. Yello besorgt es sich aus Frankreich, Hansestrom aus Finnland.
Wenn es den Leuten allerdings egal sei, ob ihr Strom aus dem Atomkraftwerk kommt und es nur nach dem Motto geht: Hauptsache billig – dann, so Broziat, „können wir auch nichts machen“. Aber solches Denken sei auch nicht die Zielgruppe für grünen Strom.
Bei Ökostrom in Hamburg gewinnt man der Preislawine noch positives ab. „Wir freuen uns über die Presseauftritte der anderen. Die sorgen dafür, dass die Leute fürs Thema sensibilisiert werden“, sagt Kühn. Bei Ökostrom registriert man jedenfalls eine höhere Zahl von Anfragen, seit die etablierten Konzerne täglich Tamtam mit Billigangeboten machen.
Ökostrom sieht allerdings auch die Gefahren des Strom-Dumpings. „Wir müssen aufpassen, dass die Preis-Schere zwischen uns und den Konzernen nicht zu weit auseinanderklafft“, sagt Kühn. Daher könne er sich vorstellen, dass man auch beim grünen Strom billiger wird. Im Moment kostet eine Kilowattstunde bei Ökostrom 41 Pfennig, Yello bietet einen Tarif von 19 Pfennig an, der HEW-Standard liegt bei gut 33 Pfennig.
Dass jetzt auch die HEW mit ihren Tarifen nach unten geht, ist für Kühn nicht überraschend. „Das ist genau derselbe Effekt wie bei der Telekom und den Telefontarifen, als plötzlich die Konkurrenz auftauchte“, sagt er. Bislang habe die HEW die Preise nach Gutdünken diktieren können. Es gab zwar eine Stromaufsicht, die die Preise kontrollieren soll: „Aber wenn die HEW ihre Preispolitik mit irgendwelchen Argumenten begründete, musste die Aufsicht das sowieso glauben und hinnehmen.“
Peter Ahrens
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