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■ Der schwedische Sozialstaat

In der Nachkriegszeit war die Arbeitslosigkeit in Schweden nahezu durchweg niedrig. Das war neben dem stetigen Wirtschaftswachstum auch einer Besonderheit des Arbeitsrechts geschuldet. Es gilt das Prinzip der Anstellungsdauer: Ein Arbeitgeber muss erst die Beschäftigten entlassen, die zuletzt eingestellt wurden, kann also nicht einfach ältere durch jüngere ersetzen. Das führt zu einer vorsichtigeren Kündigungspolitik – und weniger Einstellungsbereitschaft.

Anfang der neunziger Jahre brach der Arbeitsmarkt ein. 1993 betrug die Arbeitslosigkeit 14 Prozent. Verantwortlich war hier neben einem Konjunkturtief eine Krise der Staatsfinanzen. 40 Prozent der Beschäftigten arbeiteten im öffentlichen Sektor, fast doppelt so viele wie 25 Jahre zuvor. Staatliche Personaleinsparungen schlugen daher besonders auf den Arbeitsmarkt durch. Für den Anstieg des öffentlichen Sektors war der stete Ausbau von Sozialreformen verantwortlich, die in Schweden kaum Kontroversen hervorriefen, im Ausland aber unter dem Stichwort „Wohlfahrtsstaat“ Aufsehen erregten.

Bis 1993 war der Anteil der öffentlichen Ausgaben am Bruttosozialprodukt (BSP) auf 71,8 Prozent gestiegen. Der Durchschnitt der OECD-Länder lag damals bei 42 Prozent. Die Sozialausgaben machten 39 Prozent des BSP aus – wobei allerdings eine Reihe der Sozialeinkommen steuerpflichtig sind und Schweden Europas höchsten Rentneranteil hat.

Was diese Zahlen relativiert ist die Tatsache, dass in Schweden ein Großteil des Sozialsystems direkt vom Staat finanziert wird und nicht durch spezielle Kassen, wie Kranken-, Renten- und Arbeitslosenversicherungen. So zahlt ein Patient nur eine Grundgebühr von umgerechnet etwa 30 Mark, den Rest übernimmt die Staatskasse. Ähnliches gilt für Arzneimittel und Zahnbehandlung. Außerdem gibt es eine Höchstkostengrenze von rund 400 Mark im Jahr. Private Versicherungen, die in den OECD-Statistiken über Sozialausgaben nicht auftauchen, gibt es daher in Schweden mangels Bedarf kaum. Reinhard Wolff

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