: Gesetze aus Serbien unerwünscht
Kosovo-albanische Bevölkerung empört über Kouchner-Erlass, der serbische Gesetze wieder in Kraft setzt. Familien fordern Freilassung der nach Serbien verschleppten Gefangenen ■ Aus Prizren Erich Rathfelder
Es war ein stiller Demonstrationszug, der durch das Zentrum Prizrens führte. Angehörige und Freunde von Gefangenen, die vor ihrem Abzug aus Prizren von den serbischen Truppen nach Serbien verschleppt worden sind, forderten gestern Aufklärung über das Schicksal ihrer Männer, Brüder und Söhne. Sie trugen Fotos der Gefangenen mit sich und erinnerten auf Spruchbändern den Administrator der Vereinten Nationen, den Franzosen Bernard Kouchner, daran, dass es zu seinen Aufgaben gehört, die Gefangenen freizubekommen.
7.000 Menschen sollen vor und während des Abzuges der serbischen Truppen verschleppt worden sein. Das behauptet jedenfalls der Präsident des neu geschaffenen Gerichtshofes in Prizren, Richter Edhem Rugova. Der kosovo-albanische Jurist, der vor seiner Entlassung aus dem Staatsdienst während der Säuberungswelle von 1990, als die meisten Albaner nach Aufhebung des Autonomiestatus aus ihren Stellungen geworfen wurden, schon 20 Dienstjahre auf dem Buckel hatte, erklärt, allein aus Prizren seien 500 Gefangene mitgenommen worden.
Nur von 2.000 Menschen sei der Aufenthaltsort bekannt, die anderen seien verschwunden, sagt der Jurist. Und er weist auf die vor ihm auf dem Schreibtisch liegende Resulution 1244 der Vereinten Nationen. „Hier wird nicht einmal die Freilassung der Gefangenen gefordert.“
Edhem Rugova ist ein ruhiger Mann. Dennoch ist ihm die Erregung anzumerken, als das Gespräch auf diesen Erlass von Bernard Kouchner kommt. Der hatte nämlich am 25. Juni einen Rundbrief verfasst, in dem erklärt wird, die serbischen Gesetze seien nach der Resolution 1244 in Kosovo nach wie vor gültig. Rugova weist auf den Stichtag. Es ist der 24. März 1999, der Tag des Beginns des Nato-Bombardements. Und sich in seinem Sessel zurücklehnend erklärt er, es ginge wohl nicht an, dass diskriminatorische Gesetze weiter gültig bleiben. Das Gesetzbuch Kosovos, das bis 1989 gültig war, sei in albanischer und serbischer Sprache abgefasst, alle Menschen seien vor diesem Gesetze gleich, während das Gesetzbuch von 1999 lediglich in serbischer Sprache und kyrillischer Schrift abgefasst sei.Wegen des Kouchner-Erlasses seien drei der neu bestellten Zivilrichter von ihrem Posten zurückgetreten.
Oberst Gert Both ist Rechtsberater der deutschen KFOR-Truppen im Kosovo und als solcher mit der Materie bestens vertraut. Denn er war es, der als einer der ersten Offiziere der KFOR-Truppen gleich nach dem Einmarsch versuchte, ein provisorisches Justizsystem zu installieren. Über 700 Personen seien in Prizren wegen der unterschiedlichsten Delikte verhaftet worden und hätten zumeist nur einige Tage in dem Gefängnis zugebracht. „Wir mussten gleich von Anfang an Ordnung schaffen, es gab keinerlei legitime Staatsgewalt.“
Auf die Idee, das serbische Gesetzbuch zu übernehmen, ist er damals nicht gekommen. Das Kommando der KFOR-Truppen behalf sich mit verschiedenen Erlassen. Auf seine Initiative hin wurden die jetzt in Prizren arbeitenden Richter eingestellt. Auch Oberst Both ist ein zurückhaltender Mensch, doch er verhehlt nicht, dass Kouchners Erlass, die serbischen Gesetze in der existierenden Form zu übernehmen, ihn überraschte.
Im Rahmen des materiellen Strafrechts, bei Delikten wie Raub, Mord oder Vergewaltigung, sei der Unterschied zwischen dem alten Gesetzbuch Kosovos und dem serbischen Strafgesetzbuch gar nicht so gravierend, erklärt der deutsche Jurist. Im Zivilrecht lägen die Dinge anders. Man könnte bei den schweren Delikten in der Sache durchaus mit einem etwas bereinigten serbischen Gesetzbuch arbeiten, es sei jedoch eine politische Stilfrage, ob man tatsächlich auf dem Namen beharren musste. Schließlich könne man sich nicht die Bevölkerung zum Gegner machen.
Noch ist bei den Verhandlungen auf höchster Ebene keine Einigung in Sicht. Die kosovo-albanische Bevölkerung verhält sich seither misstrauisch auch gegenüber französischen KFOR-Soldaten. Mancherorts wurde sogar gegen Kouchner und die Franzosen demonstriert, zum Beispiel vergangenen Mittwoch in Prizren.
„Wenn ein Amerikaner, ein Deutscher oder ein Brite Administrator wäre, wäre es nicht zu dieser Entwicklung gekommen“, behauptetein Berater von Hashim Thaci. An dem Stuhl von Kouchner wird offenbar schon gesägt.
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