: Duma nickt Jelzins Premier ab
■ Russlands Parlament bestätigt Wladimir Putin gleich im ersten Wahlgang als Premierminister. Der kündigt vollmundig eine Fortsetzung des Reformkurses an
Moskau (taz) – Nach einer mehrstündigen Debatte bestätigte gestern das russische Unterhaus, die Duma, mit absoluter Mehrheit den von Präsident Boris Jelzin vorgeschlagenen Kandidaten Wladimir Wladimirowitsch Putin (47) als neuen Premierminister. Er heimste 232 Pro- bei nur 84 Kontra-Stimmen ein. Die Abstimmung erfolgte in einer durch den Krieg in Dagestan angespannten öffentlichen Atmosphäre. Zudem hatten sich am Vorabend Gerüchte verdichtet, Boris Jelzin und Wladimir Putin wollten die Kämpfe im Nordkaukasus benutzen, um im Land einen Ausnahmezustand auszurufen und mit dessen Hilfe die letzte Amtszeit Präsident Jelzins auf unabsehbare Zeit zu verlängern.
In einer Fernsehansprache trat Jelzin gestern diesem Verdacht entschieden entgegen. Putin sagte zu Beginn seiner Ansprache vor dem Parlament: „Ich denke, dass es uns gelingen wird, Ordnung und Sicherheit ohne solche außerordentlichen Maßnahmen wiederherzustellen“. Gleichzeitig forderte er in der Kriegsregion „allerstrikteste Maßnahmen“.
Zu Beginn seiner 20-minütigen Ansprache unterstrich Putin seinen Willen, die Reformen der beiden vorhergehenden Regierungen weiterzuführen, erklärte aber: „Reformen sind kein Selbstzweck, sondern ein Mechanismus, um das Leben des Volkes zu verbessern.“ Dabei gelte es zu verhindern, „dass unser Land nur noch aus Armen besteht“. Wie allerdings der neue Premier den von seinen Vorgängern mit dem Internationalen Währungsfonds abgesprochenen Staatshaushalt einhalten will, bleibt ein Rätsel. Putin versprach viel, unter anderem, dass der Staat innerhalb eines Monats allen Rentnern die ihnen geschuldeten Pensionen auszahlen werde. Auch sprach er sich dafür aus, den Rüstungsbetrieben ihre Steuerschulden zu erlassen.
Die Führer der größten Fraktionen benutzten ihre Auftritte als Einstieg in die heiße Phase des Wahlkampfes. Grigori Jawlinski, Führer der Jabloko-Fraktion, die den konsequentesten Oppositionskurs in der russischen Duma steuert, konzentrierte sich ganz auf das Thema Dagestan. Jawlinski forderte unter anderem, das Parlament solle den Sold der in Dagestan Kämpfenden soweit erhöhen, dass er über der den russischen Friedensstiftern im Kosovo gezahlten Summe von 1.000 Dollar monatlich liege.
Im dagestanischen Bezirk Botlichsk gelang es der Armee der Russischen Föderation unterdessen, die islamischen Kämpfer aus Tschetschenien weiter einzukesseln. Deren mögliche Rückzugswege wurden vermint. In der Nacht von Sonntag zu Montag war es erneut zu schweren Kämpfen gekommen. Das Pressezentrum der dagestanischen Islamisten gab an, 20 föderale Soldaten seien getötet und zwei gefangen genommen worden. Nach Angaben der russischen Armee, die auch in Tschetschenien bestätigt wurden, fielen bisher über vierhundert islamische Kämpfer bei den Auseinandersetzungen.
Vieles deutet darauf hin, dass es mittlerweile zu einem Konflikt zwischen dem tschetschenischen Feldkommandeur Schamil Bassajew und dem jordanischen Terroristen-Trainer Hattab gekommen ist. Bassajew soll Hattab vorwerfen, er habe ihn über die Haltung der dagestanischen Bevölkerung desinformiert. Diese widersetzt sich in ihrer Mehrheit den islamistischen Eindringlingen.
Barbara Kerneck
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