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Lustschloss & Unikum

Treffpunkt der Swing-Jugend und älterer Damen: Der Alsterpavillon wird 200 Jahre alt  ■ Von Sven Bardua

Seit Jahrhunderten ist der Hamburger Jungfernstieg eine der beliebtesten Promenaden der Stadt. Die weltberühmte Flaniermeile ist eigentlich ein Mühlendamm, mit dem die Alster seit 1235 zu einem städtebaulich eindrucksvollen See aufgestaut wurde. Hier am Wasser steht auch das bekannteste Caféhaus der Stadt, der Alsterpavillon. Der heutige Bau ist der sechste; der erste Pavillon wurde vor 200 Jahren, am 20. August 1799, eröffnet.

Es war ein zierliches Holzhaus mit Terrasse, das von einem französischen Emigranten errichtet wurde, den es nach den Wirren der Revolution an die Elbe verschlagen hatte. Der Mann brachte schon damals den spröden Hanseaten die Vorzüge des Speisens unter freiem Himmel näher. Schnell war der Bau ein beliebter Treffpunkt für Intellektuelle und vornehme Bürgertöchter, für Geschäftsleute und Emigranten. 1835 wurde der kleine Pavillon dann wegen Baufälligkeit abgerissen. Ein schlichter Steinbau mit halboffener Veranda ersetzte ihn.

Dieser zweite Pavillon überstand zwar 1842 den großen Hamburger Brand, aber nicht die gediegenen Pläne des Pächters. Der Weinhändler Johannes Schwarting übernahm ihn 1874 und ließ ihn 1875 durch einen Neubau ersetzen. Doch das klassizistische Lustschloss Schwartings musste schon 1899 dem verbreiterten Jungfernstieg weichen. Nach einem rauschenden Abschlussfest wurde es abgerissen.

Der vierte Pavillon sorgte – wegen seines pompösen Aussehens auch Kachelofen genannt – schon beim Bau für heftige Diskussionen. Das geschmacklose Unikum bot 1000 statt bis dahin 270 Gästen Platz. Den gestiegenen Ansprüchen aber wurde auch dieser Pavillion nicht gerecht.

Ihm folgte 1914 der fünfte Pavillon mit prächtigen Sälen und erheblich vergrößerten Terrassen. Platz gabs nun für 2000 Gäste, und die bejubelten zunächst noch mit Blick auf die Alster die Siege des Ersten Weltkrieges. Als die ausblieben, wurde der Pavillon zum Schieberlokal.

Die Wirtschaftskrise und der Bau der 1931 zum Jungfernstieg eröffneten U-Bahn hatten leere Tische zur Folge – bis die Swing-Jugend den Alsterpavillon für sich entdeckte. Das Haus entwickelte sich zu ihrem Treffpunkt, man traf sich, um zu den Klängen der von den Nazis diffamierten „Neger-Musik“ zu swingen. Im Juli 1942 zerstörten Bomben das Haus weitgehend, doch schon zwei Jahre nach Kriegsende durften sich die Hanseaten auf den Terrassen wieder sonnen, allerdings ohne Kaffee und ohne Haus. Im Herbst 1947 ließ der Pächter einen Teil als Zelt herrichten, so dass er wieder Gäste bewirten konnte. Gleichzeitig stritten Pächter, Architekten und Stadt jahrelang um den Wiederaufbau.

Schließlich wurde der sechste und heutige Alsterpavillon 1952/53 nach den Entwürfen von Ferdinand Streb mit großen Fensterflächen auf den Fundamenten der Vorgänger gebaut. Mit ihm sollte ein Symbol für den Wiederaufbau der deutschen Städte geschaffen werden. „Dies ist die schönste Gaststätte, die ich kenne“, sagte Bundespräsident Theodor Heuss bei der Eröffnung.

So modern der Pavillon nach außen wirkt, so traditionell plüschig sah es drinnen aus. Die Folge: 40 Jahre später war das Café nur noch ein Kuchentempel für ältere Damen. Angesichts der Sanierungskosten und der vielfach ungeliebten Architektur schlugen die Wogen hoch. Führende Politiker forderten den Abriss des „Schandflecks“ und den Wiederaufbau seines Vorgängers. Doch die Denkmalschützer setzten sich durch. Der Alsterpavillion wurde saniert und 1994 neu eröffnet. Die neue Innenarchitektur verprellte prompt ältere, zahlungskräftige Gäste. Ein Jahr später war der Pächter pleite.

1995 zog dann die Brunckhorst-Gruppe ein. Die neue Innenarchitektur stammt von der Hamburgerin Jasmine Mahmoubieh. Ihr gelang das Kunststück, zwischen den verschiedenen Ansprüchen zu vermitteln.

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