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Der Haken am Nadelöhr

Die Straßenbahn wird bis auf die Warschauer Brücke verlängert. Die Anbindung an U- und S-Bahn bleibt trotz verkürzter Wege jedoch problematisch  ■   Von Martin Kaluza

Die Warschauer Straße in Friedrichshain und ihre Verlängerung nach Kreuzberg sind eine Strecke zum Staunen und Stauen. Die Verkehrsader, die die bald vereinigten Bezirke verbindet, führt über zwei frisch sanierte Brücken. Auf der einen wurden vor Jahren schon Straßenbahngleise installiert, obwohl dort keine Straßenbahnen fahren. Auf der anderen wurden keine Gleise verlegt, aber dort soll die Tram jetzt kommen. Konzentrierte Hauptstadtplanung oder doch eher ein Schildbürgerstreich?

Brückensanierungen ohne Verkehrskonzept

Die Oberbaumbrücke war vor dem Fall der Mauer ein Grenzübergang für Fußgänger. Erst seit wenigen Jahren rollen dort wieder Autos und U-Bahnen, das Bauwerk wurde zum Schmuckstück an der Spree zurechtrestauriert. Da man gerade die Spendierhosen anhatte, wurden in der Fahrbahn auch gleich Straßenbahnschienen versenkt, über die bis heute noch kein Zug gerollt ist: Sie enden nämlich, wo die Brücke endet. Die nächste Straßenbahnhaltestelle ist (so über den Daumen gerechnet) einen Kilometer entfernt.

Anders die U-Bahn. Die Linie U 1 wurde vom Schlesischen Tor aus verlängert und über die Oberbaum- bis zum südlichen Ende der zweiten, der Warschauer Brücke instand gesetzt.

Die Warschauer Brücke, die endlose Reihen von Bahngleisen überspannt, ist so etwas wie die inoffizielle Rennbahn für BVG-Umsteiger: Hier kämen ein paar Straßenbahngleise gut. Denn wer vom U-Bahnhof „Warschauer Straße“ in die Staßenbahn an der gleichnamigen Haltestelle umsteigen will, muss bislang einen knapp fünfhundert Meter langen Marsch über das zugige Bauwerk zurücklegen (an guten Novembertagen hat der Wind hier noch jedem seinen Seitenscheitel verpasst).

Um das zu ändern, wird nun rund um die Uhr gebaut. Auf den beiden inneren Fahrbahnen der vierspurigen Straße wird die Straßenbahnstrecke der Linie 20 um 610 Meter bis zum U-Bahnhof verlängert. Eine Wendeschleife ist dort nicht geplant. Stattdessen setzt die BVG auf der Linie 20 fünfzehn „Zweirichtungsfahrzeuge“ ein, die an beiden Enden Führerstände haben.

Durch das 13,9 Millionen Mark teure Projekt verkürzt sich ab Ende Mai 2000 der Umsteigeweg zwischen U- und Straßenbahn auf immerhin rund 40 Meter. Die Fahrgäste der Linie 23, die ebenfalls an der Warschauer Straße endet, werden von der Erweiterung nicht profitieren. Die 23 führt über Lichtenberg, Hohenschönhausen, Weißensee und Prenzlauer Berg bis in den Wedding – entsprechend viele Wagen sind über die Strecke verteilt ständig im Einsatz. „So viele neue Züge können wir uns nicht auf einen Schlag leisten. Abgesehen davon könnte Adtranz die auch gar nicht so schnell liefern“, erklärt Barbara Mansfield, Pressesprecherin der BVG.

Die Verlängerung wenigstens der vielgenutzten Linie 20 war überfällig und kann nur begrüßt werden. Trotzdem handelt sich der Bausenat den Vorwurf ein, die Sache halbherzig anzupacken und durch zögerliche Planung unnütz verteuert zu haben.

Tatsächlich wurde die Brücke erst 1996 von Grund auf saniert. Schon damals hätten die Gleise eingebaut werden können, für die jetzt die Decke wieder aufgerissen wurde.

Nutzer der S-Bahn bemängeln außerdem, dass die Tram, die direkt vor dem Eingang zur S-Bahn entlangfahren wird, nicht auch dort hält. Zwar wird auch der Umsteigeweg zwischen Tram und S-Bahn kürzer, aber von den bisher 330 werden immer noch 160 Meter bleiben.

Zeitinseln für den Ausstieg werden abgelehnt

Dem Fußgängerschutzverein FUSS e. V. ist die Haltestelle an der U-Bahn in der geplanten Form zu klein und zu gefährlich. In einer Einwendung an den Bausenat weist der Verein darauf hin, dass Umsteiger die U-Bahn schon beim Aussteigen sehen können. Untersuchungen hätten „viele Male gezeigt“, dass die Fahrgäste die Straße dann „sofort und ohne Umwege“ überqueren wollen. Unfälle seien damit vorprogrammiert. Als Lösung fordert der Verein „Zeitinseln“: Die Bahn hält ohne Bahnsteige mitten auf der Straße, und der Autoverkehr wird mit Ampeln angehalten, wann immer Passagiere ein- und aussteigen.

Solch eine Zeitinsel wäre auch der einzige Weg, die Tram mitten auf der Brücke vor dem S-Bahn-Eingang zum Halten zu bringen. Deshalb wird die Ablehnung in beiden Fällen mit demselben Argument begründet: Die Ampeln würden den PKW- und Lastverkehr aufhalten. Täglich zwängen sich hier auf vier Spuren 30.000 Autos durch.

Ganz in diesem Sinne bekommt die Straßenbahn auf der Warschauer Brücke auch keinen eigenen Gleiskörper, schließlich herrscht auf dem Stück auch schon im Vierspurbetrieb regelmäßig Stau.

Durch den wird sich dann auch die Straßenbahn quälen müssen. Und wenn sich die Tram dann im Feierabendverkehr so richtig festkeilt, schauen die Fahrgäste vielleicht manchmal wehmütig aus dem Fenster und sehen, wie die Fußgänger munter an ihnen vorbeispazieren.

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