Sorgenkind als Seelenfutter

■  Ab heute gibt's Reklame fürs Radio, die eigentlich Reklame für Reklame im Radio ist

Morgens um sieben ist die Welt der Radiomacher noch in Ordnung. Schlaftrunken tasten Millionen Hände nach Radioweckern, zucken Zahnbürsten im Takt der aktuellen Nummer 1, trommeln Finger zur Staumeldung auf dem Lenkrad. Was die Hörerzahlen angeht, „müssen wir uns keine Sorgen machen“, feiert Bela Konrad von der ARD-Werbeverkaufsfirma Sales & Services sein Medium.

Trotzdem geben die ARD-Reklamehändler und ihre Privatsenderkollegen ab heute 15 Millionen Mark aus, um für Radio zu weben – dazu noch mal die gleiche Summe in Form eigener Sendezeit. Dafür werden wir hören, sehen und lesen, dass wir mehr Radio hören sollen, denn, so der Slogan: „Wer fühlen will, muss hören.“

Dass man derlei für nötig hält, liegt daran, daß sich das Medium mitten im Werbeboom vernachlässigt fühlen muss: „Hörfunk ist das Stiefkind der Werbung“, fasste etwa Medienforscher Klaus Goldhammer in einer Studie zusammen. Nur 5,6 Prozent bekommt das Radio vom großen deutschen Werbekuchen, mit sinkender Tendenz. Zu wenig, findet die ARD. Beim größten Privatfunkvermarkter RMS in Hamburg sagt man es anders: „Wenn man an der Spitze bleiben will, muß man etwas dafür tun“, prahlt Sprecher Stefan Preussler, ungerührt von den Zahlen, die sein Medium auch im letzten Jahr wieder als das mit dem geringsten Zuwachs verzeichnen.

Gründe für die trübe Lage des Radios auf dem Werbemarkt lassen sich vermuten: So haben sich die werbebegleitenden Programme in den letzten Jahren mit Kurzmoderation und eindimensionalen Musikformatierungen derart in den Hintergrund gedrängt, dass manch Hörer die Werbung ebenso überhört wie die Witze der Moderatoren. Ob da eine Kampagne helfen kann, die laut ihren Schöpfern die Aufmerksamkeit wieder auf das Nebenbeimedium lenken will?

Auch wenn RMS-Mann Preussler von der „Promotion des Radios in seinem gesamtgesellschaftlichen Zusammenhang“ spricht: Mit den Hinweisen auf „Seelentrösterfunktion“ und Bundesligaberichte sind eigentlich, sagt ARD-Mann Konrad, wir, die Hörer, gar nicht gemeint, sondern nur die „Entscheider“. Das sind wichtige Personen in Firmen und Agenturen, die befinden, wieviel Geld für welche Werbung in welchem Medium ausgegeben wird. Und weil diese Entscheider einen netten Brief der Vermarkter doch nur wieder wegwerfen würden, müssen wir alle die getarnte Geschäftskommunikation mitanhören und ansehen. Ganz getreu dem Motto: Wer nicht werben will, muss hören. Stefan Kuzmany