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Schmierenkomödie in den Enklaven

■ Marokkos Premier erinnert an alte Forderungen, und der Bürgermeister des spanischen Marbella besetzt neues Terrain

Berlin (taz) – Ein sensibles Thema hat der marokkanische sozialistische Premier Abdurrahmane Youssoufi aufgeworfen: Es sei an der Zeit, dass Spanien und Marokko gemeinsam über ein neues Statut für Ceuta und Melilla nachdächten, erklärte er Ende letzter Woche gegenüber dem spanischen Radiosender Cadena SER. Die beiden spanischen Enklaven, die jenseits der Meerenge von Gibraltar auf dem afrikanischen Kontinent liegen, werden seit jeher – wenn auch mit gedämpftem Ton – von Marokko eingefordert.

Dennoch riefen die Bemerkungen Youssoufis in Spanien heftige Abwehr seitens der beiden großen Parteien, der regierenden Volkspartei PP und der Sozialistischen Arbeiterpartei PSOE, hervor und gaben zu Spekulationen Anlass, denn Regierungschef José Maria Aznar sollte am gestrigen Montag dem neuen marokkanischen König Mohammed VI. einen Besuch abstatten. Nach dem Besuch gab es jedoch Entwarnung: Mohammed VI. vermied das Thema der beiden Enklaven und zog es vor, die nicht rückzahlbaren Kredite der Spanier an Marokko anzusprechen sowie die bevorstehenden Verhandlungen über das Fischereiabkommen zwischen der EU und Marokko, das Ende des Jahres ausläuft.

Der Anlass für Youssoufis Äußerungen freilich besteht fort: Es ist eine politische Schmierenkomödie am Südrand Europas. Die Bewohner der beiden spanischen Enklaven bezahlen nur die Hälfte der in Spanien üblichen Steuern, auch dort ansässigen Firmen wird die Hälfte der Steuern erlassen. Grund für Jesús Gil y Gil, Bürgermeister des Nobelorts Marbella auf der spanischen Seite der Meerenge, Präsident des Fußballclubs Atlético Madrid und steinreicher Unternehmer, seine Fühler nach den beiden Städten auszustrecken. Bei den Gemeinderatswahlen im Juni war es ihm gelungen, mit seiner „Unabhängigen liberalen Gruppe“ (GIL) in Ceuta wie in Melilla stärkste Kraft zu werden. Grund für den Wahlerfolg waren die Law-and-order--Parolen, mit denen er etwa versprach, getreu dem Vorbild Marbella auch die beiden Städte von „Unrat“ zu säubern, wobei mit Unrat auch die zahlreichen illegalen Immigranten gemeint sind, die über Marokko in die Städte gekommen sind und nun, im Vorhof Europas, auf ein Weiterkommen warten.

In beiden Städten hatten sich PSOE und PP bemüht, einen Bürgermeister des GIL zu verhindern. In Ceuta war das durch eine breite Parteienkoalition auch gelungen, in Melilla jedoch bildete die „Koalition für Melilla“ (CM), eine Partei der marokkostämmigen Einwohner, ein Bündnis mit GIL und fand darüber hinaus die Unterstützung von zwei sozialistischen Stadträten.

Noch waren die Gerüchte nicht verstummt, die Unterstützung der beiden Sozialisten in Melilla für die GIL-Koalition sei von dieser teuer bezahlt worden, da stellte sich in Ceuta eine PSOE-Stadträtin auf die Seite der GIL-Gruppierung, diesmal, um mittels eines Misstrauensantrags die regierende Parteienkoalition zu stürzen und GIL ins Rathaus zu bringen. Auch hier, heißt es, seien hohe Summen geflossen.

So stehen nun zwei Misstrauensanträge an: in Ceuta, damit GIL an Stelle der Parteienkoalition das Rathaus übernimmt. Und in Melilla, damit die GIL-Koalition unter dem marokkanischstämmigen Bürgermeister Mustafa Aberchan zu Gunsten einer Koalition von PSOE und PP abgesägt wird. Antje Bauer

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