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■ Ladenschluss 22 Uhr – eine brüchige AuffanglinieDer Osten will kaufen

Das monatelange Rumgenerve einiger großer Kaufhäuser und Fußgängerzonengeschäfte im Osten hat Erfolg: Man überlege, den Ladenschluss an Werktagen bis 22 Uhr auszudehnen, sagt die Vizechefin der SPD-Bundestagsfraktion, Sabine Kaspereit. Sonntags dagegen sollen die Geschäfte weiterhin geschlossen bleiben.

Obwohl ein halbherziges Dementi auf dem Fuße folgte – die Äußerung ist der Versuch der Regierung, eine lästige Debatte zu beenden. Ob das Angebot ausreicht? Querulanten wie den Berliner Kaufhof-Chef Günter Biere und Medienunternehmer Peter Dussmann interessiert weniger der Abend, mehr der Sonntag. So macht Rot-Grün ein Zugeständnis an einer Ecke, um die es eigentlich nicht geht.

Abends klingelt die Kasse. Am Sonntag klingelt sie lauter. Dann erforschen TouristInnen die Innenstädte und bringen zwei Dinge mit: viel Zeit und viel Geld. Mit beidem sind sie sehr großzügig.

An Arbeitstagen, auch abends, müssen die Geschäfte mit den normalen EinwohnerInnen der Städte vorlieb nehmen. Am Samstagnachmittag dagegen und am Sonntag lockt ein Extraprofit aus den Portmonnees auswärtiger Besucher. Vor diesem Hintergrund spielt sich die Verteilungsschlacht um die Marktanteile in der Berliner City ab. Wo lassen die TouristInnen ihr zusätzliches Geld – in der alten, westlichen Innenstadt am Kurfürstendamm, in der östlichen City am Alexanderplatz oder im neuen Zentrum am Potsdamer Platz?

Überhaupt ist das Leiden am Ladenschluss ein Ostphänomen. Berlin, Leipzig, Halle, Dessau – bevor die Kaufhäuser in den sanierten Innenstädten sich eine solide Position erwerben konnten, bekamen sie in den vergangenen Jahren Konkurrenz von gigantischen Einkaufspassagen auf dem Land.

Nun versuchen die Cityhändler ihren Hals mit Gesetzesbruch aus den Konkursschlinge zu ziehen. Und die Bevölkerung in den ostdeutschen Dörfern und Kleinstädten nimmt das neue Angebot gerne an, denn jegliche Vergnügungsinfrastruktur hat sich dort in nichts aufgelöst. Wenn der Hauptverband des Deutschen Einzelhandels nun meint, den sonntäglichen Ladenschluss bewahren zu können, so weiß er nicht, was im Osten los ist.

22 Uhr hin oder her – die Maulerei aus östlicher Richtung geht weiter. Und die Kompromisslinie der Regierung wird nicht lange halten. Die Wirklichkeit hat die Renovierung des Gesetzes schon jetzt längst überholt. Hannes Koch

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