Die Wiederkehr des Dutts

■ Kleine Kulturgeschichte einer fast vergessenen Haartracht

Er ist der Alptraum jedes großstädtischen Hairstylisten – auf der Skala der unmöglichsten Frisuren nahm er bislang einsam und unangefochten die Spitzenstellung ein: der Dutt.

Die Älteren kennen ihn noch vom Kopf ihrer Großmutter, doch heute wird er nur noch in entlegenen Bergregionen geknotet. Die Herkunft des Dutts, was niederdeutsch eigentlich Klumpen, Haufen oder Knäuel heißt, ist unbekannt. Jedenfalls ist er schwer aus der Mode gekommen. Und doch war der Dutt einmal mehr als das Aschenputtel unter den Haartrachten. Er war die Krönung der Frisur, die haargewordene Krone schöner Frauen.

Die Anfänge des Dutts liegen im Dunkel der Geschichte. Minoische Vasenmalereien zeigen Frauengestalten mit kunstvoll aufgetürmten Haarknoten, in keltischen Hügelgräbern wurden duttgeschmückte Amulette gefunden, und auch in der Literatur hinterließ er seine Spuren. Der mittelhochdeutsche Minnesänger Egbert von Ulmenstein flocht folgende Verse vom geknoteten Haupthaar seiner Angebeteten, die unerreichbar in der Kemenate saß:

Oh Dutt du Zier der Frouwen

wie zierlic anzuschouwen

Ick derf en denen Dutten

een Glückes Los vermutten.

So ging das durch die Jahrhunderte: Bandkeramik, Minnedienst und güldne Verse, bis im 16. Jahrhundert dann die Profanisierung des Duttgedankens begann. Abstieg, ja Absturz war die Folge. Holsteinische Fischersfrauen benutzten den Dutt, um ihre Fischkörbe besser auf dem Kopf zum Markt transportieren zu können. „Ene mene Dutt, hier kommt der Butt!“ war denn auch der gängige Schlachtruf der Fischweiber norddeutscher Küstenregionen.

Die Legende besagt, dass mancher Dutt auch zum Abtransport von Schmuggelgut herhalten musste – so wurden noch Anfang des 20. Jahrhunderts in den Dutts vorpommerscher Grenzgängerinnen eingeflochtene Bernsteinketten gefunden. Der Dutt überlebte so die Jahrhunderte hindurch auf den Köpfen von Küstenbewohnerinnen und alpenländischen Bäuerinnen, fristete aber aufgrund seiner zeitintensiven Herstellung stets ein Mauerblümchendasein. Nur in den Jahren 33 bis 45 erlebte er als Modefrisur kernseifensauberer BDM-Maiden eine kurze Zwischenblüte. Ein letztes Aufbäumen: den Trümmerfrauen der Nachkriegszeit diente er als willkommer Kopfschutz beim Abtransport der Fliegerbomben. Doch dann geriet er vollends in Vergessenheit. Bis vor kurzem galt: Der Dutt ist tot. Helge Schneiders „Schüttel dein Haupthaar für mich“ kann in diesem Zusammenhang als Essenz der duttfeindlichen Haltung der Neunziger gesehen werden.

Das könnte anders werden. Erste Anzeichen sprechen für ein Dutt-Revival. In Woodstock wurden dieses Jahr vereinzelt blutjunge Folk-Girlies gesichtet, deren Haartracht dem Blood-and-earth-Ideal schon recht nahe kam. Jil Sander, Vordenkerin der neuen Strenge in Modefragen, sieht ebenfalls Bedarf: „Vorbei die Zeit der fashionablen Beliebigkeit. Die klassisch-strenge Anmutung des Dutts entspricht der neuen Sehnsucht nach nordisch-cooler Stylishness.“ Und Karl Lagerfeld, der selbst schon mit einer Aufduttung seines Haarschopfs liebäugelt, pflichtet ihr bei: „Diese Dutts sind doch einfach hinreißend!“

BDM-Look hin oder her – der Dutt-Hype scheint die Szene-Treffs der Reichen und Schönen zu erobern. Droht eine neue Generation Dutt? Vorbei scheinen die Zeiten der fransigen, wuscheligen, locker fallenden, wallenden oder im schlimmsten Falle wie ein Theatervorhang um Frauenhäupter wehenden Haarmatten. Der peinlich sorgfältig geknüpfte Dutt ist die Antwort auf die Frisurenbeliebigkeit der letzten Jahre. Man darf also auf die Neuinterpretation des Dutts 2000 gespannt sein ...

Rüdiger Kind