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„Es ist beschämend, Deutscher zu sein“

■ In Kondolenzbüchern für Ignatz Bubis kämpfen Trauernde um angemessene Worte

Ein paar welke Rosen und Sonnenblumen auf einer Ablage an der Marmorwand des Flures, in der Mitte ein Bürotisch, darauf ein Foto, umrankt von einem schwarzen Band: Ignatz Bubis, in typischer Pose mit Lesebrille und offenem Mund. Nur das Kreischen eines Bohrers stört die Stille.

Wenige Menschen finden den Weg in die Tucholskystraße in Berlin-Mitte, wo seit Montag beim Zentralrat der Juden in Deutschland ein Kondolenzbuch für den verstorbenen Präsidenten ausliegt. Nur 300 Trauernde haben sich in den schwarzen Lederband eingetragen. Die Begegnung mit Bubis, so schreibt jemand, sei „einer der beeindruckendsten Momente in meinem Leben“ gewesen. „Er war mein menschliches und politisches Vorbild“, hat ein anderer notiert, ein Trauernder bezeichnet den Verstorbenen als „wichtigste moralische Instanz der Republik“.

Es ist schwierig, in Kondolenzbüchern den angemessenen Ton zu finden, angesichts der Wucht des Todes und der Trauer – und ob des Wunsches vieler, etwas Bleibendes, Besonderes zu schreiben. Da rutschen manche Einträge ins Tragikomische ab: „Der plötzliche Tod von Ignatz Bubis kam für uns sehr plötzlich und unerwartet.“ An anderer Stelle heißt es: „Er kam aus anderen Zeiten und hoffte, in andere zu gehen.“ Oder: „Ehre einem Verfechter von Verfassungsprinzipien“.

Aber natürlich ist das nicht alles. Gerade die letzte bittere Bilanz von Bubis – er hatte gesagt, dass er „fast nichts“ erreicht habe, jüdische und nichtjüdische Deutsche seien sich fremd geblieben – ist Thema vieler Kommentare im Kondolenzbuch: „Die Fundamente, die Sie gelegt haben, waren Ihnen selbst nicht so erkennbar“, schreibt eine Frau. Immer wieder notieren Menschen, dass er viel bewirkt habe. „Die Bitterkeit der letzten Zeit soll nicht nachwirken“, oder: „Wir waren uns so fremd nicht geblieben.“ Es bleibe „Optimismus“.

Gerade Bubis' öffentliche Widerrede gegen die Paulskirchen-Rede von Martin Walser zur Verleihung des Friedenspreises wird immer wieder gewürdigt: „Es ist grausam, wie alleine Sie in der Paulskirche gewesen sind“, lautet ein Eintrag. „In der Debatte um die Rede Martin Walsers habe ich mich Ignatz Bubis sehr nahe gefühlt“, schreibt eine Frau. „Der Einzige, der bei Herrn Walser nicht klatschte, wird fehlen“, erklärt jemand anderes.

Auch Bubis' umstrittene Entscheidung, sich nicht in Deutschland beerdigen zu lassen, ist häufiges Thema der Mininachrufe: „Was wäre Ihr Grab bei uns – in Ihrem und unserem Deutschland – wert gewesen.“ Und: „Ich bedauere die Entscheidung, dass das Grab nicht in Deutschland zu besuchen ist, akzeptiere aber die Entscheidung.“ Gar „wütend“ zeigt sich ein Schreiber, dass deutsche Politiker seine Entscheidung für ein Grab in Tel Aviv kritisierten. Ein Künstler hat einen gelben Sticker mit Eigenwerbung in das Kondolenzbuch geklebt und erklärt, er wolle auch nicht in Deutschland beerdigt werden.

Der Selbsthass vieler im Land der Täter feiert in dem Gedenkbuch für einen „großen Deutschen jüdischen Glaubens“ sich selbst. Da bittet eine Frau „um Verzeihung für jedes ungerechte Wort“, das ihn getroffen habe, ein Trauernder schreibt, „dieses Land hat ihn nicht verdient“, ein anderer hält knapp fest: „Es ist beschämend, Deutscher zu sein.“

Viele Zitate aus der Heiligen Schrift versuchen, die Erklärungsnot aufzufangen. „Die da lehren, werden leuchten wie des Himmels Glanz“, zitiert jemand einen Spruch aus dem Buch Daniel. Der gemeinsame Vater im Himmel wird angerufen, viele erinnern sich an ihre eigene Lebensgeschichte: „Gegen den Immobilienhändler habe ich demonstriert“, schreibt einer, „den bewundernswerten Demokraten habe ich verehrt.“ Ein Ehepaar, das früher im Zentralratsgebäude wohnte, lobt, wie freundlich und hilfsbereit er war, beim Auszug und der Suche nach einer neuen Wohnung. „Die zerknitterten Anzüge, die er früher trug, waren mir so sympathisch“, schreibt eine Frau, und fast poetisch notiert jemand: „Wann immer Du das Wort ergriffen hast – ich habe Dir zugehört. Wann immer Du geschwiegen hast – ich habe aufgehorcht. Frage Dich nicht, ob Du etwas bewirkt hast.“ Philipp Gessler ‚/B‘Die Gedenkbücher in der Fasanenstrasse werden Sonntag geschlossen, die beim Zentralrat frühestens Ende kommender Woche.

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