: Verheimlichte Geschichte
Zum Auftakt des aktuellen Humboldt-Jubiläums widmet die Bonner Bundeskunsthalle den Ureinwohnern VenezueIas, den Indios des Orinoko, eine Ausstellung ■ Von Gisa Funck
Wenzel Jacob ließ sich nicht lumpen: Zur Eröffnung der Ausstellung „Orinoko – Parima“ hatte der Direktor der Bonner Kunsthalle zur luxuriösen Bootsfahrt auf dem Rhein geladen – inklusive Moselwein, Lachssalat und Rostbratwürstchen auf Sauerkraut. Immerhin, so protzte Wenzel, handele es sich bei der Schau über die Orinoko-Indianer gleich um eine „dreifache Premiere“. Zum ersten Mal das Thema Lateinamerika in der Kunsthalle, zum ersten Mal die Privatsammlung der Cisneros in Europa – und dazu noch „ein ganz neues Konzept“, das die Ureinwohner Venezuelas „als Menschen und nicht als Exoten“ zeige.
Ganz so neu, wie Wenzel es anpries, ist das Konzept indes nicht. Die beiden KuratorInnen Gabriele Herzog-Schröder und Stephan Andreae haben die rund 700 Indianer-Objekte der Familie Cisneros, weiße Medienmillionäre aus Caracas, als einen großen Lebenszyklus gestaltet – ohne noch einmal extra zwischen den zwölf Stämmen zu unterscheiden. Am Anfang begegnet man den Schöpfungsmythen. Hell angestrahlt auf weißem Grund hängen sie schwarz gedruckt und schnörkellos auf Tafeln von der Decke. Auf einer ist von Pelibo die Rede, dem Mond der Yanomami, der zur Erde hinabstieg, um einen Termitenhügel zu essen, sich dabei verletzte und aus dessen Blut die Menschen entstanden.
Danach beginnt der Fall aus lichten Mythen-Höhen: mitten hinein in die Niederungen des Indio-Lebens. Nur noch Dämmerlicht bescheint die folgenden Räume der Geburts- und Initiationsriten, der Alltagsgeschäfte des „Jagens“, „Nährens“ und „Tauschens“, bevor man abschließend zu den Totenkulten gelangt, die trotz ihrer Verschiedenheit alle dem gleichen Zweck dienen: Sie sollen den Toten erfolgreich ins Totenreich geleiten, damit dieser den Verbliebenen als ruheloses Gespenst nicht künftig das Leben sauer macht. Insofern handelt es sich bei den Exponaten der Bonner Ausstellung nicht um künstlerisch besonders ausgewählte Stücke. Ob Blasrohr, Korbgeflecht, Federkrone, Schamanenschemel oder Tanzmaske: zu sehen ist indianisches Gebrauchsinventar.
Das aber besitzt meist auch eine spirituelle Bedeutung. Wenn die Ye'kuana etwa geernteten Maniok in riesige Schläuche füllen, um das Gift aus den Pflanzen zu pressen, dann stellen sie damit nicht einfach nur eine essbare Speise her. Sie bannen auch die bösen Geister.
„Die Idee der Transformation bestimmt das Leben am Orinoko“, weiß Kuratorin Herzog-Schröder aus eigener Erfahrung. Sie hat fünf Monate bei den Yanomami verbracht und dort erlebt, dass einzig den Schamanen in den ansonsten hierarchisch ungegliederten Gesellschaften eine Ausnahmestellung zukommt. Nur sie dürfen, berauscht von Tabak oder der Droge Epena, Kranke heilen und Prophezeiungen treffen. Die Stärke der Bonner Ausstellung liegt darin, zu zeigen, wie ungebrochen der alte Indioglaube an eine bestimmende Magie des Weltgeschehens am Orinoko immer noch ist.
Denn es ist genau diese Mystik, die den „weißen“ Betrachter, der traditionell einer rationalen Faktizität verhaftet ist, ebenso befremdet wie fasziniert. Eine Faszination, der sich schon der umtriebige Preusse Alexander von Humboldt nicht entziehen konnte. Vor 200 Jahren befuhr er den Orinoko, um den Urwald und seine Bewohner zu erforschen. Zurückgekehrt in die Berliner Salons, schwärmte er seinen Zuhörern vor vom „göttlichsten und vollsten Land“, in dem „Mensch und Natur in Eintracht miteinander leben“.
Humboldt wird in wenigen Wochen ebenfalls in der Bundeskunsthalle geehrt. Und pünktlich zum Forscher-Jubiläum hat auch die venezolanische Oberschicht plötzlich Geschmack an den eigenen indianischen Wurzeln gefunden. Zur europäischen Premiere der Cisnero-Sammlung war eigens der venezolanische Außenminister nach Bonn angereist. Der pries nun – Ironie der Geschichte – eben jene Kultur an, die in seinem Land jahrhundertelang als minderwertig galt und konsequent ausgerottet wurde. 90 Prozent der Bevölkerung Venezuelas leben heute in den nördlichen Industriestädten. Die Lebenserwartung der Indios im Süden liegt mit 40 Jahren immer noch weit unter dem Durchschnitt. Und freiwillig zieht weiterhin niemand an den Orinoko.
Nicht zufällig haben die Cisneros den Großteil ihrer Sammlung einem ehemals politisch Verfolgten abgekauft: Edgardo Gonzales Niño tauchte in den 50er Jahren als Kommunist und unbequemer Beamter des Landwirtschaftsministeriums notgedrungen bei den Indios unter – auf der Flucht vor den Polizisten des Diktators Jimenez. Was ihm erst als sein „tropisches Sibirien“ erschien, wurde jedoch bald zur geliebten Heimat. Niño heiratete eine Yanomami-Frau, passte sich den Sitten ihres Stammes an – und hortete als erster indianisches Kulturgut. Neuerdings würdigt man ihn als „Wegbereiter der venezolanischen Ethnografie“. „Aber was wollen Sie?!“, fragt die Ethnologin Herzog-Schröder provokativ: „Es ist nicht so, dass alles am Orinoko tot und verwaist ist, seit die Weißen kamen. Ich denke, es ist viel wichtiger zu zeigen, dass die Indianer sich dort eine eigene Identität bewahrt haben.“
Und nach einer kleinen Pause setzt sie hinzu: „Anstatt immer nur über ihre Verfolgung zu lamentieren.“
Bis zum 27. Februar 2000, Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland in Bonn, Katalog 58 DM
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