: „Konkurrenz im Osten ist härter“
Die Sonntagsoffensive als Test für den Westen: Einzelhändler und Kaufhäuser wehren sich gegen die großen Shopping-Malls am Stadtrand ■ Aus Berlin Hannes Koch
Halle an der Saale ist eingekreist. Nahe des Stadtrandes liegen drei große Einkaufszentren – kleine Städte mit einem gigantischen Angebot von Waren und Dienstleistungen. Von der Motorsäge über die Dauerwelle bis zum französischen Viergängemenü gibt es dort alles.
Einkaufen, Essen, Vergnügen Tür an Tür – da lässt sich die Freizeit optimal ausnutzen. „42 große und kleine Center gibt es auf den 30 Kilometern zwischen Halle und Leipzig“, weiß Hans-Joachim Fritze, Besitzer der gleichnamigen Konditorei in der Innenstadt von Halle.
Fritze ist Chef der City-Gemeinschaft, in der sich Einzelhändler, Kaufhäuser und Filialbetriebe zusammengeschlossen haben. Die Händlerlobby mimt den Stoßtrupp gegen das vom Ladenschlussgesetz formulierte Einkaufsverbot am Abend, Samstag Nachmittag und Sonntag. Neben Leipzig, Dessau und Berlin haben sich die Geschäfte in der sachsen-anhaltischen Stadt mit dem teilweise gesetzwidrigen Verkauf am Sonntag in den vergangenen Wochen besonders hervorgetan. Und der Westen schaut erstaunt über die kulturelle Wasserscheide ins Beitrittsgebiet. Was ist da los? In München, Köln und Hamburg hat ja kein Einzelhändler Lust, sich den guten Ruf zu ruinieren, indem er am Tag des Herrn die Ladentüre öffnet. Der Streit um den Ladenschluss – ein typisches Ostphänomen?
Nach der kapitalistischen Stunde Null vor zehn Jahren haben Investoren in Ostdeutschland eine Verkaufs- und Konsumstruktur eingeführt, die dem französischen und US-amerikanischen Vorbild mehr ähnelt als dem westdeutschen. Während die Einkaufszentren auf der „grünen Wiese“ im Westen nur 25 Prozent der Verkaufsfläche des Einzelhandels bieten, sind es im Osten zwei Drittel. Deshalb sei die Konkurrenz der Shopping-Malls „hier viel stärker“, so Konditor Fritze. Die abgelegenen Einkaufszentren mit den großen Parkplätzen ziehen den Einzelhändlern in den Fußgängerzonen jede Menge Umsatz ab.
Für den Hallenser Konditor selbst sind die Grenzen des Ladenschlussgesetzes kein eigentliches Problem, denn er kann als Bäcker im Prinzip öffnen, wann er will. Doch mittelständische Kollegen mit Möbel- und Konfektionsgeschäften litten durchaus unter den mächtigen Wettbewerbern am Stadtrand und würden deshalb gerne den Sonntag als neue zeitliche Nische eröffnen, um „Kaufkraft umzuleiten“.
Die bündelt sich bislang in den Shopping-Malls. „Dazu hat die verfehlte Wirtschaftsförderung der vergangenen zehn Jahre geführt“, sagt Christiane Zerfaß, Sprecherin der Gewerkschaft Handel (HBV). Baugenehmigungen, billige Grundstücke und Subventionen waren auf dem leeren Land leicht zu bekommen, denn jede Ostgemeinde wollte sich mittels neuem Gewerbegebiet an den Haaren aus dem Sumpf ziehen.
Parallel dazu ging in den Innenstädten alles viel langsamer: Der öffentliche Nahverkehr bedurfte einer langwierigen Renovierung, Geschäfte mussten mehrfach umziehen, weil die Eigentumsverhältnisse der Häuser ungeklärt waren. „Im Westen waren die Innenstädte zuerst da, dann kamen die Einkaufszentren auf dem Land – im Osten war es umgekehrt“, fasst Konditor Fritze zusammen.
Nicht nur die Mittelständler wollen jetzt mit dem Kampf gegen den Ladenschluss die Konsummuster verändern – auch ÖkonomInnen wie das Institut für Wirtschaftsforschung in Halle finden das durchaus ratsam: „Die Sonntagsöffnung stellt eine Chance besonders für die ostdeutschen Innenstädte dar“, schreiben sie.
Doch Hubertus Pellerngahr vom Hauptverband des Einzelhandels (HdE) hält dieses Kalkül für unrealistisch: „Der Mittelstand wird nicht profitieren, sollte der Sonntag freigegeben werden.“ In diesem Fall würden natürlich auch die Center auf dem Land ihre Verkaufszeiten verlängern und sich so die eventuell verlorenen Marktanteile zurückholen. Nicht oft sind sich die Unternehmer vom HdE mit der Gewerkschaft einig. In einem Punkt aber schon: Sowohl HdE-Sprecher Pellerngahr als auch der Berliner HBV-Chef Manfred Birkhan betrachten die Attakken gegen die Sonntagsruhe nicht wirklich als Ostphänomen. Denn an die Spitze hätten sich die beiden größten westlichen Kaufhauskonzerne gesetzt, die Metro-Tochter Kaufhof und Karstadt. „Für die gibt Ostdeutschland nur das Experimentierfeld ab“, schätzt Birkhan. Mit der hohen Arbeitslosigkeit und den schwächeren Gewerkschaften seien die Gefechtsbedingungen im Osten viel besser, um den bundesweiten Ladenschluss zu Fall zu bringen.
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