: „Milosevic bleibt länger als 2007“
■ Serbiens Opposition wird vom Westen hochgejubelt. In Wahrheit sind sie chancenlose Nationalisten, sagt der Politologe Dragomir Olujic
Der serbische Politologe und Regimekritiker Dragomir Olujic (51) ist Redakteur der Flüchtlingszeitung Odgovor und Serbien-Korrespondent der Sarajevoer Zeitschrift „Svijet“
taz : Wie lange hält sich Präsident Slobodan Miloševic noch?
Dragomir Olujic: Offiziell läuft sein Präsidentenamt im Jahre 2007 ab, aber er bleibt uns noch länger erhalten.
Das ist doch wohl ein schlechter Witz?
Entschuldigung, ich lebe hier schon seit einem halben Jahrhundert und versuche die Machtstrukturen politisch zu analysieren. Das ist die bittere, bittere Realität für Serbien. Klar will ich, dass Miloševic geht. Und zwar sofort. Er müsste als Kriegsverbrecher vor das Tribunal in Den Haag .
Das verlangt aber doch auch die Opposition.
Dass ich nicht lache. Die meisten Oppositionsführer drücken sich um die Frage, was für Verbrechen im Namen des Serbentums vom Miloševic-Regime aus begangen wurden. Viele stellen sich nicht einmal die Frage und kämen nie auf die Idee, sich bei der albanischen Bevölkerung dafür zu entschuldigen. Stattdessen jammern sie nur über den Verlust der „heiligen serbischen Erde“.
So denken aber doch nicht alle, die am Donnerstag in Belgrad demonstriert haben.
Die Andersdenkenden kommen aber noch nicht zu Wort, sie dürfen nur als Statisten mitmachen. Das Wort führen Vuk Draškovic und Zoran Djindjic, und die versprechen das Blaue vom Himmel. Was soll ich davon halten, dass Djindjic sagt: Wenn Miloševic in 15 Tagen nicht von der Macht verschwunden ist, dann werden wir mit den Füßen abstimmen? Darüber lacht der Diktator und lacht das Volk. Das ist ein selbstherrlicher Auftritt, um sich selbst wieder ins Gespräch zu bringen.
Warum ist es so schwer, Miloševic zu stürzen?
Miloševic sitzt fest im Sattel, daran ändert nichts, dass die westlichen Medien seinen Sturz herbeireden und jede Aktion der Opposition aufblasen. Djindjic oder Draškovic sind nicht populär, haben kein Progamm und kein Durchsetzungsvermögen, Sie kommen bei der Bevölkerung nicht als alternative Führungspersönlichkeiten an. Wir brauchen neue Gesichter. Und das ist schwer in der jetzigen Zeit. Denn Miloševic hat ein Argument, das beim Volk ankommt: An allem ist die Nato schuld, der Teufel Nato.
Auch am Niedergang der Wirtschaft?
Gerade das glauben die Arbeiter und Bauern. Sie glauben, aufgrund der Nato-Bomben ständen die Fabriken still, herrsche Mangel an Lebensmittel. Der Nato auch den Bankrott der Kommandowirtschaft in die Schuhe zu schieben ist eine fantastische Ausrede für das Regime.
Wie wird es weitergehen?
Wir müssen uns besinnen, unsere eigenen Fehler analysieren und daraus lernen. Die einzige Hoffnung besteht für mich darin, dasssich die lokalen Stadtinitiativen, etwa in Cacak, Kraljevo, Leskovac, durchsetzen. Diese jungen Leute sind gegen die verrotteten Oppositionsführer und erst recht gegen das Regime. Das Problem dieser Gruppen ist bislang nur: Wie können sie ihre Stimme landesweit bemerkbar machen?
Interview: Karl Gersuny
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