Die Hoffnung auf Rettung sinkt mit jeder weiteren Stunde

■  Die UNO befürchtet bis zu 40.000 Tote in der Türkei, weil die beim Beben Verschütteten nicht rechtzeitig zu befreien sind. Die Seuchengefahr wächst

Istanbul/Genf (taz/dpa) – Das Erdbeben in der Türkei droht bis zu 40.000 Menschen das Leben zu kosten, weil viele der Verschütteten nicht mehr rechtzeitig befreit werden können. Diese Befürchtung äußerte gestern Sergio Piazzi, Europadirektor des UN-Koordinationsbüros für humanitäre Hilfe in Genf. Während die offizielle Zahl der Toten gestern mit 8.700 angegeben wurde, galten noch 35.000 Menschen als vermisst. „Ein Großteil davon wird nicht mehr am Leben sein“, erklärte Piazzi. Zwar führe die Bauweise der Häuser in der Region dazu, dass beim Einsturz Hohlräume entstünden, in denen Menschen ausharren könnten. Jedoch nicht unbegrenzt, so Piazzi: „Unsere Erfahrung besagt, dass die Möglichkeit besteht, bis Montag oder Dienstag Lebende zu bergen.“

Die Überlebenden bedroht eine neue Gefahr: Seuchen. Gestern tauchten erste Berichte über Fälle von Cholera in einigen südöstlichen Vororten von Istanbul auf. Helfer wurden mit Mundschutz und Handschuhen ausgestattet und gegen Typhus geimpft.

Als am stärksten seuchengefährdet gilt die Industriestadt Izmit. Hier werden Tag und Nacht Massengräber ausgehoben, um die verwesenden Körper so schnell wie möglich zu beerdigen. Eine weitere Gefahr entsteht durch die katastrophalen hygienischen Verhältnisse. Es mangelt an Trinkwasser und mobilen Toiletten. Neben Typhus drohen Cholera, Ruhr und Hepatitis A.

Im Zusammenhang mit dem Erdbeben sind jetzt die ersten Festnahmen wegen grober Fahrlässigkeit bei der Planung und Konstruktion von jetzt eingestürzten Häusern gemeldet worden. Die Polizei nahm in Eskisehir einen Mann fest, der für die Konstruktion eines siebenstöckigen Wohnhauses in dieser Stadt verantwortlich war. Er wurde wegen „Vernachlässigung der Aufsichtspflicht“ in Haft genommen. Außerdem nahm die Polizei drei Brüder fest, die offensichtlich beim Bau einer Kleinsiedlung mit 17 Häusern gepfuscht hatten.

Die türkische Presse erhebt immer schärfere Vorwürfe gegen die Regierung. „Was ist das für ein Staat?“, fragte gestern die Zeitung Radikal. Die Regierung halte zwar Reden, „schafft es aber nicht einmal, Hilfe in die Erdbebengebiete zu schicken“. Und selbst die regierungsnahe Turkish Daily News titelte: „Totales Fiasko: Der öffentliche Zorn wächst!“

Der Brand in der größten Erdölraffinerie des Landes konnte gestern am späten Nachmittag gelöscht werden. Das Feuer, das sechs Tanklager in Izmit am Marmarameer erfasst hatte, sei nach tagelangem Kampf endlich erstickt worden, sagte gestern der Leiter der staatlichen Tupras-Raffinerie, Ismail Alakoc. taud

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