: Unheilvolles versus pure Selbstironie
■ Auftakt mit Gegenpolen: Josef Nadj und Déjà Donné beim Sommertheater-Festival
Wie kann es angehen, dass ein gerechter Gott soviel Unrecht geschehen läßt, fragt der Prophet Habakuk sich und den Herrn, nachdem er Fürchterliches sah, und verfällt darob in ein Klagelied. – Ausweglose Fragen münden nicht selten in Poesie; man muss sie nur ernsthaft zu stellen wagen. Wieso also halten sich diese Männer in den schwarzen Anzügen und weißen Hemden diese langen Holzstäbe an die Stirnen? Weshalb zieht der eine dem anderen zur Begrüßung mit den Zähnen einen Faden aus der Schulter? Warum gibt die Tischdecke dem Gewicht des Gläschens nicht nach, da sich doch kein Tisch mehr darunter befindet?
Am Freitag eröffnete Josef Nadjs vor kafkaesk-dadaistischen (Bewegungs-)Bilderrätseln überbordende Choreografie „Les Commentaires d'Habacuc“ auf Kampnagel das 16. Internationale Sommertheater-Festival. Wie es angehen kann, dass eine gerechte Kultursenatorin eine derart erfolgreiche Institution abschafft, fragte Festivalleiter Dieter Jaenicke sich und das Publikum noch vorab, und ließ darob den Vorhang hochgehen. Dass dann ein Haufen wahlweise durchgeknallter oder ruhiggestellter bürokratischer Mängelexistenzen in sinn- und zuweilen kopflosen Aktionismus verfielen, passte da freilich recht fein.
Den Figuren des Josef Nadj möchte man im richtigen Leben lieber nicht begegnen, weil sie Dinge tun, die uns um den Verstand bringen könnten. Doch zum Glück ist ihr Dasein gebunden an dieses Bühnen-Vivarium, ausgestattet mit multifunktionalem, mobilem Inventar, ohne das sie nicht lebensfähig scheinen. Und zum Glück geht ihnen die Gabe des Sprechens ab, sonst würden sie wohl von Vorgängen berichten, die hiesige Begrifflichkeiten zum Einsturz brächten, und wenn einer versucht, das Unvorstellbare in Worte zu fassen, so stopfen ihm die anderen mit Fetzen seines Hemdes das Maul.
Es ist eine Welt für sich, die Nadj und sein zehnköpfiger Bewegungsapparat skizzieren – mit ganz eigenen Gesetzen, Regeln und Ritualen. Absurd zu nennen, was hier passiert, ist richtig. Und vollkommen falsch, denn die (suggerierte) Logik der Geschehnisse in toto ist so bestechend wie bestürzend. Und manches Verhalten mutet dann so fremd doch nicht an: Die Akteure gehen rüde miteinander um, manipulieren, betrügen, deformieren sich gegenseitig, und kein Pas de deux, der nicht auch an einen Nahkampf erinnern würde. Und wenn sie sich mit Feuer füttern, ahnt man, wo in diesem Kosmos der Bereich des Zärtlichen anzusiedeln ist.
Das künstlerisch vollendet Hermetische in Josef Nadjs Theater, seine bis ins Letzte durchkomponierte Bildsprache und die unheilvolle Stimmung der Commentaires d'Habacuc fanden am zweiten Festival-Tag ihr Komplementär in der neuen Produktion der multinationalen Truppe Déjà Donné mit Sitz in Prag, geleitet von der Tschechin Lenka Flory und dem Italiener Simone Sandroni. Hier ist alles leicht, ironisch, offen, kommunikativ und autoreferentiell; es wird viel gesprochen und richtig getanzt. Das Publikum ist mittendrin in der Deutschen Erstaufführung von Aria Spinta, noch ehe es sich versieht, denn schon die Kartenabreißer und Programmverteiler gehören zur Compagnie. Plötzlich stehen sie auf der Bühne, entledigen sich ihrer Schuhe und wollen beginnen. Aber nichts klappt an diesem Abend, und schließlich krachen gar die Vorhänge herunter und die Scheinwerfer fallen aus ihren Verankerungen.
Dass das Scheitern einer Aufführung zum eigentlichen Thema gemacht, dass offensiv mit dem Publikum gespielt und der Selbstdarstellungseifer von Tänzern kräftig auf die Schippe genommen wird, das haben Déjà Donné nicht erfunden. Aber sie arbeiten souverän mit diesen Stilmitteln, der Slapstick gerät nie peinlich, und sie tanzen sehr virtuos. Und das ist doch auch was. Ralf Poerschke
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