: Ringkampf mit Geistern
■ Kampf um das Gedächtnismonopol: Die FU-Studiobühne mit Kafkas Dramenfragment „Der Gruftwächter“ im Garn-Theater
„Der Gruftwächter“ heißt eine lose Folge von Dialogen und Prosafetzen, die sich in Franz Kafkas nachgelassenen Schriften findet. Ein Dramenfragment, das so fragmentarisch ist, dass es bisher fast nie aufgeführt wurde. Es geht um einen Fürsten, der in die Gedächtnisrituale seines Fürstentums eingreift, indem er bestimmt, dass in Zukunft nicht allein der Park mit der Fürstengruft bewacht werden soll, sondern es auch unmittelbar bei den Sarkophagen einen Wächter geben müsse.
Hier gerät er in Konflikt mit einem Hofbeamten und begegnet schließlich einem erschöpften alten Mann, der seit dreißig Jahren den Park mit der Gruft bewacht: „Genüge ich nicht?“, fragt der den Fürsten „habe ich jemals einen durchgelassen?“ „In den Friedrichspark?“, will der Fürst wissen. „Nein, aus dem Park. Wer will denn hinein? Aber heraus, heraus wollen alle.“
Dann erzählt der Wächter von seinen allnächtlichen Ringkämpfen mit den Geistern der Toten, die aus dem Park wollen, und man begreift, dass die Aufgabe des Gruftwächters nicht darin besteht, die Ruhe der Toten zu bewahren, sondern dass er die Ruhe der Lebenden vor den Toten garantieren soll. In Kafkas Fragment haben Annett Hardegen, Jan Lazardzig und Michael Timm, Studenten der Theaterwissenschaft an der FU, Spielmaterial gesehen, um die gegenwärtige Krise des Erinnerns zu beleuchten. Und so steigt man die steile Treppe des Kreuzberger Garn-Theaters hinab in ein moderig riechendes Souterrain, um die knapp einstündige Aufführung der FU-Studiobühne zu besichtigen.
„Wer glauben Sie, zahlt einmal ihre dereinstige Bestattung?“, fragt die ausliegende Werbebroschüre eines Bestattungsunternehmers, eines der Sponsoren. Dann sitzt man schon im gruftartigen Theaterraum, schwarz gestrichen, eng und fast so hoch wie breit (Bühne: Holger Lindner).
Weiß gerahmte Kerzen flackern an den Wänden. Auf einem Klotz in der Mitte posieren zwei starre Gestalten – galaktisch geschminkt in grellblauen Bodystockings – und beginnen ein ungelenkes Tänzchen. Von weit oben steigt irgendwann ein junger Mann in schwarzer Kutte zu, setzt sich eine Krone auf und tippelt zu einem Bürostuhl. Und so beginnt dann der verbale Kampf um die Frage, wer das Sagen hat über die Erinnerung im Land. Der Fürst, den David Schumm als jugendlichen Schwächling gibt, oder das Establishment in Gestalt des Kammerherrn (ein bisschen zu rehäugig: Dafne-Maria Fiedler). An den unterwürfig sich windenden Gruftwächter (aasig: Ralf Sebastian) denkt erst mal niemand.
Doch der mausert sich schnell zum Gedächtnismonopolisten und zur eigentlichen Macht im Staat. Dagegen will der junge Fürst sich wehren und kann das eben nur, in dem er diesen zum Dämon gewachsenen Wächter entmachtet und durch einen weiteren Wächter neutralisiert. Hier könnte es nun interessant werden, aber die Regisseure Hardegen und Lazardzig haben sich für eine merkwürdig pantomimische Spielweise entschieden, die letztlich immer abstrakter und beliebiger werden lässt, was doch konkreter und eindeutiger werden könnte und müsste. Und so bleibt alles etwas blass.
Das ist schade, denn die FU-Studiobühne verspricht einen spannenden Blick auf einen fast unbekannten Text. Aber davon ist fast mehr im Pressetext als auf der Bühne zu sehen. Esther Slevogt
Nächste Vorstellungen: 26. –29. 8. und 2. – 5. 9., jeweils 21 Uhr, Garn-Theater, Katzbachstr. 19, Kreuzberg
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen