: Muntere Tänzer mit blutigen Totenmasken
Spätestens nach der Uraufführung dieser Opéra comique hätten Louis und Marie Antoinette wissen müssen, was auf sie zukommen würde: „Blaubart“ in der Neuköllner Oper bietet zeitlosen Grusel, märchenhafte Kostüme und warm strahlende Stimmen ■ Miriam Hoffmeyer
Im März 1789 wurde in Paris eine Opéra comique uraufgeführt, die ein bei Hofe wohl gelittener Mann komponiert hatte, ein ehemaliger Klavierlehrer der Königin Marie Antoinette. Statt in ländlicher Idylle spielt die Handlung unter Hochadeligen. Der Ranghöchste liegt am Ende ermordet am Boden. „Tyrann! Scheußlicher Tyrann!“ jubeln seine Vasallen. „Freiheit und Glück!“
Erstaunlich, was trotz der Zensur unter Louis XVI. so alles erlaubt war, wundert man sich da. Aber „Blaubart“ von André Ernest Modeste Grétry, einem Pionier der komischen Oper, ist durchaus nicht nur von historischem Interesse. Das Märchen vom Serienmörder, der die zerstückelten Leichen seiner Ehefrauen in einer geheimen Kammer aufbewahrt, bietet zeitlosen Grusel. Der Librettist Michel Jean Sedaine gewann dem schaurigen Thema aber auch komische Aspekte ab: So ist der Jugendfreund der schönen Isaure, die von ihren korrupten Brüdern zur Heirat mit Blaubart gezwungen wird, ein ausgesprochenes Weichei. Vom zweiten Akt bis zum blutigen Ende läuft Vergy in Frauenkleidern herum, weil er nur so der Geliebten nahe sein kann. Der Überlieferung nach konnte das Uraufführungspublikum allerdings nur wenig mit einem Heldentenor anfangen, der statt des Degens einen Pompadour schwang. Ungewöhnlich differenziert sind auch die anderen Charaktere gezeichnet. Blaubart ist kein mittelalterlicher Finsterling, sondern ein charmanter Verführer. Und Isaure lässt sich bei aller Hochherzigkeit nicht nur von seinen Kratzfüßen und Handküssen betören, sondern auch von seinen Reichtümern. „Wie der Rubin den Finger würde schänden!“ singt sie – und kann der Versuchung nicht widerstehen, den kostbaren Ring überzustreifen. Grétrys Musik, die schon Mozart vorahnen lässt, bleibt trotz aller Bühnenschrecken stets heiter, leicht und oberflächlich. Sie wirkt gerade durch diesen Kontrast: Als Isaure die verbotene Kammer geöffnet hat, beginnt ein munterer Tanz. Doch die Tänzer tragen blutige Totenmasken. Rudolf Dankers Inszenierung in der Neuköllner Oper leuchtet die Doppelbödigkeit des Werks sorgsam aus. Die leere Bühne, die märchenhaft schlichte Zeichensprache der Kostüme (Weiß für die Unschuld, Blutrot und Schwarz für Blaubart, groteske Perücken für die Brüder) unterstreichen die ironische Raffinesse der Oper. Das Orchester unter Leitung von Hans-Peter Kirchberg spielt die durchsichtige, vorwärts drängende Musik makellos und mit Verve.
Unter den Sängern ragt Lilia Milek mit ihrer warm strahlenden Stimme heraus. Die junge Schönheit aus Usbekistan ist inzwischen der Star der Neuköllner Oper und müsste eigentlich bald eine internationale Karriere vor sich haben. Burkhard Schulz als Blaubart ist ein angemessen dämonischer Charmeur, Dirk Kleinke gibt den Vergy als sympathisches Riesenbaby. Stimmliche Schwächen offenbart nur der Verwalter Blaubarts, der den tödlichen Stich führt. Dieses Detail ist übrigens das Revolutionärste am „Blaubart“: Nicht der gekränkte Liebhaber, nicht die Brüder ermorden den Tyrann, sondern ein bürgerlicher Angestellter. Spätestens nach der Uraufführung dieser Oper hätten Louis und Marie Antoinette eigentlich wissen müssen, was auf sie zukommen würde.
19. bis 21.8., 26. bis 28.8. und 2. bis 5.9., 20 Uhr, Neuköllner Oper, Karl-Marx-Str. 131–133
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